Heute möchte ich mal wieder ein klass(isch)es Auflöse-Retro vorstellen; zur Auszeichnung dieses Stücks stelle ich nach der Besprechung noch eine Frage zur Diskussion.
Übrigens habe ich dieses Stück beim Andernach-Treffen 2011 vorgestellt; wer mehr über weitere Aufgaben des erstgenannten Autors lesen möchte, sollte in feenschach Heft 187 (Juli 2011), S. 109ff nachschlagen. Und gleichzeitig möchte ich auf diese Weise an die Anmeldung zum diesjährigen Andernach-Treffen erinnern…
Die Schwalbe 1986, 1. ehrende Erwähnung
#1 (13+14)
Natürlich geht es bei der Forderung “#1” nicht primär darum, den Mattzug zu finden, sondern zu eruieren, welche Seite am Zug ist, denn für beide liegt ein Matt in einem Zug mit dem gegenseitigen Schlagen der Türme auf der 5. Reihe bereit.
Um nun feststellen zu können, welche Seite am Zug ist, betrachten wir zunächst die Schlagbilanz: Schwarz hat die Schlagfälle dxe und e5xf4 und hat den weißen h-Bauern geschlagen — und zwar auf seiner Reihe, da Weiß seine beiden Schlagfälle mit a4xDb5 und bx[Lf8]c (warum genau dieses Schläge?) verbraucht hat. Damit ist auch klar, dass [Ba7] schlagfrei nach a1 gezogen ist, um sich dort in einen Springer zu verwandeln.
Auflösen lässt sich der zentrale Knoten nur durch die Rücknahme von a4xDb5, nachdem der Sa1 sich entwandelt hat und der a-Bauer bis nach mindestens a5 zurückgekehrt ist.
Weiß hat jedoch im Moment nur Pendelzüge mit seinem La2 zur Vefügung, so dass die sofortige Entwandlung wegen Retroopposition auf a2 ausgeschlossen ist: Versuchen wir zurück: 1.Lb1-a2 a2-a1=S, so hat nun Weiß keinen legalen Retrozug mehr zur Verfügung, da a2 vom Bauern besetzt ist. Um die Retroopposition zu überwinden, muss der schwarze Springer nach anderthalb Rundläufen um das Brett zunächst den weißen Bh wiedererstehen lassen, um ihm Tempozüge zu ermöglichen.
Also muss Schwarz mit der Rücknahme beginnen, und damit ist der gesuchte Mattzug Txc5#. Aber wichtig ist natürlich die weitere Auflösung der Stellung, die alles andere als trivial ist:
R: 1.– La4-b3 2.Lb1-a2+ Sb3-a1! 3.La2-b1! Sa5-b3 4.Lb1-a2+ Lb3-a4! 5.La2-b1! Sb7-a5 6.Lb1-a2 Sd8-b7 7.La2-b1 Se6-d8 8.Lb1-a2 Sg5-e6 9.La2-b1 Sh3-g5 10.Lb1-a2 Sf2-h3 11.La2-b1 Sd1-f2 12.Lb1-a2 Sb2-d1 13.La2-b1 Sa4-b2 14.Lb1-a2 Sb6-a4 15.La2-b1 Sc8-b6 16.Lb1-a2 Se7-c8 17.La2-b1 Sg8-e7 18.Lb1-a2 Sf6-g8 19.La2-b1 Sh5-f6 20.Lb1-a2 Sf6xBh5 21.La2-b1, und nun muss der schwarze Springer nur noch denselben Weg in entgegengesetzter Richtung zurückcklegen, um nach a1 zurückzukehren:
21.–~Sg8-f6 22.Lb1-a2 Se7-g8 23.La2-b1 Sc8-e7 24.Lb1-a2 Sb6-c8 25.La2-b1 Sa4-b6 26.Lb1-a2 Sb2-a4 27.La2-b1 Sd1-b2 28.Lb1-a2 Sf2-d1 29.La2-b1 Sh3-f2 30.Lb1-a2 Sg5-h3 31.La2-b1 Se6-g5 32.Lb1-a2 Sd8-e6 33.La2-b1 Sb7-d8 34.Lb1-a2 Sa5-b7 35.La2-b1 La4-b3 36.Lb1-a2+ Sb3-a5! 37.La2-b1! Sa1-b3 38.Lb1-a2+ a2-a1=S 39.h4-h5 a3-a2 40.h3-h4 Lb3-a4! 41.La2-b1! a4-a3 42.Lb1-a2 a5-a4 43.a4xDb5.
Die lange Hin- und Rückwanderung des retrofreien Springers mit der Generierung von zwei Bauern-Tempozügen kann man auch noch anders interpretieren, wie dies A. Frolkin und A. Kornilow unter dem Gesichtspunkt “Schachschutz” getan haben:
“The double knight wheel … is accompanied by fourfold retroshielding of the white king (performed twice by the black knight and twice by the black bishop).” (siehe A. Frolkin & A. Kornilow, Retroshielding: A Theoretical Outlook, Mat Plus Review, Heft 13-14 VIII/2010; dort ist die Aufgabe als Nr. 44 wiedergegeben.) In der Lösung habe ich diese Schachschutz-Züge mit Ausrufezeichen markiert.
Nun zu meiner schon angekündigten Frage:
Der prominente Preisrichter hat dem Stück “nur” eine ehrende Erwähnung und keinen Preis gegeben, weil ihn der dritte schwarze Springer in der Diagrammstellung störte. Stimmt ihr dem zu?
Danke an Thomas, dass er das Thema Umwandlungsfiguren hier nochmals zur Diskussion stellt. Das gleiche Problem trifft auch das letzte Retro der Woche von Caillaud (wobei der doppelte T-Rundlauf inzwischen auch mit einem Originalturm (in der Schwalbe – Osorio/Lois) dargestellt wurde. Urs zeigt genau die Problematik auf. Umwandlungsfiguren verraten, dass umgewandelt wurde, aber erstmal nur das. Warum das schlimmer sein soll als andere offensichtliche Pfade in klassischen Retros und Beweispartien, erschließt sich mir nicht. Einziger Nachteil ist m.E. das ästhetische Empfinden beim Betrachten der Diagrammstellung. Aber insbesondere im Retrobereich, wo das Erreichen der Stellung und nicht eine vorwärtsgerichtete Lösung zu ermitteln ist, sind m.E. andere Maßstäbe anzubringen.
Ich selbst habe viele Beweispartien komponiert. Darunter sind einige mit nichtthematischen offensichtlichen Umwandlungsfiguren (auch Preisprobleme). Diese sind Mittel zum Zweck, um eine schwierige Idee üebrhaupt darstellen zu können. Wenn jemand beweist, dass es auch ohne geht, ok, dann ist das vielleicht ästhetischer oder ökonomischer, aber bis dahin sollte Originalität im Vordergrund der Wertung stehen.
Bezeichnend für die Problematik war die Werung Bernd Gräfraths beim letztjährigen Olympiaturnier. Er gab dort einer BP von Nicolas Dupont nur eine ehrende Erwähnung, weil er nichtthematische offensichtliche Umwandlungsfiguren als formale Schwäche ansah (nach Grasemann: Originalität, aber formale Schwäche = ehrende Erwähnung). Dabei handelt es sich um die Erstdarstellung eines dreifachen Springerpronkins. Wer sich schon mal an zwei Springerpronkins versucht hat, weiß, dass das nicht trivial ist. Drei Springer sind eine geradezu sensationelle Leistung. Ohne offensichtliche Umwandlungsfiguren ist das wohl kaum darzustellen. So einem Stück keinen Preis zu geben, behindert die Motivation von Komponisten, nach komplizierten Ideen zu fahnden. Wenn ich richtig informiert bin, hat der Allumwandlungsvierfachpronkin von Dupont/Wilts sogar 12 Punkte im FIDE-Album 2007-2009 bekommen. Das ist ein ebenso sensationelles Thema, das hier mit weißer Homebase (Zugökonomie!) und zwei offensichtlichen unthematischen Umwandlungsfiguren dargestellt wurde. Ist das nur eine ehrende Erwähnung wert?
Zurück zu dem aktuellen Stück und dem Doppelturmrundlauf von Caillaud: Der PR bei Plaksin/Volobiev war Michel Caillaud (Die Schwalbe 251). Bezeichnenderweise hat der Richter dieses Stück für gut genug für die Aufnahme ins FIDE-Album befunden (3 Punkte). Insgesamt bekam es 10 Punkte. So richtig passt das nicht zusammen.
Laut Dittmanns “Der Blick zurück” wurde auch Caillauds Doppelturmrundlauf wegen der Existenz des dritten Turms zurückgestuft. Aber wäre es wirklich ökonomischer, wenn man krampfhaft versucht, einen weißen Originalturm irgendwo zu schlagen? Verstößt das nicht gegen die Ökonomie von Zeit und Material? Und “natürlich” ist auch dieses Stück im entsprechenden FIDE-Album zu finden.
Vielen Dank für diese wirklich sehr begeisternde Aufgabe! Man bekommt Appetit, feenschach 189 nochmals hervorzukramen.
Die Entscheidung des Preisrichters (wer war es übrigens?) kann ich nicht beurteilen. Da fehlen mir schlicht die nötigen Kenntnisse der Gepflogenheiten und v.a. anderer vergleichbarer Aufgaben.
Mich würde fast noch mehr grundsätzlich interessieren, WARUM eigentlich Umwandlungsfiguren im Problemschach so verpönt sind. In orthodoxen Problemen ist diese weit verbreitete Abneigung eher noch nachvollziehbar, bei Hilfsmatts (für mich) weit weniger, und im Märchenschach eigentlich gar nicht mehr.
Bei Beweispartien scheint es mir nochmals etwas anders zu liegen. Hier kann man ja oft hören/lesen, dass mit Umwandlungsfiguren “zu viel verraten werde”. Aber bitte: Irgendwelche Spuren muss man ja einem Löser hinterlassen?