In der letzten Woche hatten wir uns einen originellen Platzwechsel weißer Türme angeschaut – heute wollen wir uns mit einem besonders verblüffenden Motiv für einen weißen Springer-Platzwechsel beschäftigen: Tempoverlust!
Nun werdet ihr vielleicht einwenden: „Welch ein Unsinn – Springer können doch kein Tempo verlieren!“ Das stimmt natürlich — aber sie können einen Tempoverlust eines anderen Steins erst ermöglichen, und genau das zeigen die beiden Komponisten aus Buenos Aires hier.
Die Schwalbe 2011
Beweispartie in 22,5 Zügen (14+15)
Bei Weiß fehlen [wLf1] und [wBf2], bei Schwarz [sBe7]. Zählen wir nun die sichtbaren Züge, so stellen wir fest, dass alle 22 benötigt werden, um die schwarzen Steine auf ihre Diagrammstellung ziehen zu können (4+2+5+4+4+3=22).
Damit sind auch sofort alle Schlagfälle klar: fxe7 ([sBe7] kann nicht gezogen haben) durch Weiß sowie Lxe7 (nur [sLf8] konnte auf e7 ziehen) sowie hxLg6.
Zunächst einmal halten wir fest, dass sDd8-f6-b6 gezogen werden musste, bevor d6 oder f6 gewogen werden durften, dass schon vorher Lxe7-h4 gespielt werden musste. Also musste Weiß seht früh auf e7 schlagen, denn bis dahin konnte Schwarz nur [sSg8] ziehen.
Also haben wir ganz schnell den Anfang der Lösung gefunden: 1.f4 Sf6 2.f5 Sd5 3.f6 Sb4 4.fxe7 Lxe7 5.Sh3 Lh4+ 6.Sf2 Df6, denn anders kann Weiß das Schachgebot nicht abwehren.
Warum nicht etwa 5.e3 Lh4+ 6.Ke2, denn Weiß hat doch jede Menge Zeit? Weil e2-e3 erst erfolgen darf, wenn Schwarz Ta8-e8-e3-a3 gezogen hat, scheidet also so frühzeitig aus!
Nun könnte eigentlich [wTh1] einfach pendeln, bis Schwarz Te3-a3 gespielt hat – das geht erst im 17. schwarzen Zug. , um dann 18.e3+ 19.Ld3 20.Lg6 folgen zu lassen: Dan hat Weiß noch zwei Züge, um den wSf2 nach g1 zu bringen, und halt einen, um Kf1 zu spielen. Passt doch prima – aber nur beinahe, denn dann stünde nach dem 17. weißen Zug der Turm auf g1 – und benötigte damit einen weiteren Zug, um wieder nach h1 zurückzukehren, den er aber nicht mehr hat!
Und nun kommt der zweite weiße Springer ins Spiel: Er zieht nach g3, um den wSf2 zu entfesseln, der nun nach b1 marschieren kann – und wozu? Damit Weiß auf andere Weise ein Tempo verlieren kann, nämlich mittels Ke1-f2-f1!
Mit diesem Gedanken ist die Lösung nicht mehr allzu schwer, wenn man auch noch berücksichtigt, dass vor e2-e3 der schwarze König schon mindestens auf b5 stehen muss:
1.f4 Sf6 2.f5 Sd5 3.f6 Sb4 4.fxe7 Lxe7 5.Sh3 Lh4+ 6.Sf2 Df6 7.Sc3 Db6 8.Sce4 d6 9.Sg3 Kd7 10.Sfe4 Kc6 11.Sc3 Ld7 12.Sb1 Kb5 13.Tg1 Lc6 14.Th1 Sd7 15.Tg1 Tae8 16.Th1 Te3 17.Kf2! Ta3+ 18.e3+ Ka4 19.Ld3 f6 20.Lg6 hxg6 21.Kf1 Th5 22.Se2 Ta5 23.Sg1.
Zwei Löserkommentare aus der Schwalbe (Heft 250, August 2011) möchte ich hier zitieren.
Hans Gruber: “Platzwechsel der weißen Springer wegen des notwendigen Fesselungswechsels auf e1-h4, eine tolle Kombination zweier bekannter Themen (ein rein-weiß-weißes und ein gemischt-weiß-schwarz-weißes Thema), überraschend garniert mit dem witzigen Pendel des weißen Turms.”
Und auch Manfred Rittirsch war angetan von der Lösung: “Nur damit Weiß ein Tempo gewinnen kann, muss der eine S den anderen in der Fesselung ablösen. Der Tempozug ist darüber hinaus nur möglich, weil auf der gespiegelten (von der sD ausgehenden) Diagonale eine ähnliche ‘Ablösung’ des sT durch den wB — nur diesmal auf demselben Feld — stattfindet. Springer-Platzwechsel gibt es ja auch in der Beweispartie schon einige (z.B. P0000107), aber ich kann mich an keine annähernd raffinierte Motivation erinnern.”