Retro der Woche 03/2015

Retro der Woche 03/2015 für 11.1.15

Interessant ist es, den Retro-Preisbericht der Schwalbe (Oktober 2006, von Ersatzrichter Ronald Schäfer) zu lesen: Er geht dabei u.a. auf die Weiterentwicklung der Retroanalyse in diesen zehn Jahren ein: Damals lag der Anteil der Beweispartien am Gesamtturnier noch deutlich unter 20% (10 von 56 Aufgaben); das war 2006 schon völlig anders. Ronalds Vermutung war, dass der Aufschwung der Beweispartien auch auf die Verfügbarkeit von Löseprogrammen wie natch und euclide zurückzuführen sei: vorher galten Beweispartien als chronisch nebenlösig.

Ich möchte heute den ersten Preis der Beweispartien-Abteilung vorstellen, der auch heute noch in Turnieren eine gute Figur machen würde.

Andrej Frolkin
Die Schwalbe 1996, 1. Preis
Beweispartie in 23,5 Zügen (14+13)

 

Zählen wir die direkt im Diagramm sichtbaren Züge, kommen wir nicht viel weiter: Bei Weiß sind das 0+2+2+1+3+2=10, bei Schwarz sind es 3+2+2+1+1+5=14 – dabei habe ich schon berücksichtigt, dass [Dd8] gezogen haben muss, um [Ke8] vorbei zu lassen. Aber vielleicht hilft ja die harmlos ausschauende Bauernstruktur weiter?

Ja, die hilft uns deutlich weiter! Die beiden fehlenden weißen Steine wurden auf d6 und auf c6 geschlagen. Und welche weißen Steine fehlen? [Bg2] und [Bh2] -– die müssen also beide umgewandelt haben. Beide Umwandlungen haben auf g8 stattfinden müssen, denn anders ist die weiße Bauernstruktur im Südwesten (zwei Schläge erforderlich) nicht zu erklären: es muss also [Bh2]x[Bg7] nebst Umwandlung auf g8 sowie schlagfreie Umwandlung des [Bg2], damit zwangsweise auch auf g8, erfolgt sein. Und damit haben wir auch noch genau vier Züge Zeit, die beiden weißen Schlagopfer nach d6 und c6 zu bringen. Das war dann entweder Dd1-f3-c6 oder Dg8-g2-c6 sowie Dg8-g3-d6. Damit wissen wir schon, dass beide weißen Umwandlungen in Damen erfolgten.

Außerdem erkennen wir, dass auch [Ba7] umwandeln musste, denn er konnte nicht direkt geschlagen werden.

Nun schauen wir, wer sich denn auf b3 und d3 opfern konnte: Die schnellste Möglichkeit ist Dd8-b6-b3 und Lc8-a6-d3, dann Ba7-a1=D-a5-d8. Alle anderen möglichen Zugfolgen sind länger. Und wenn wir nun noch mal schauen, wie viele Züge Schwarz nach unseren Überlegungen noch frei hatte, muss es schon diese „kurze“ Zugfolge sein.

Wenn wir nun noch etwas über die Reihenfolge der Schläge herausfinden können, haben wir schon fast die Lösung: Zuerst cxDd6, dann axDb3, anschließend bxDc6, und schließlich exLd3 – womit klar ist, dass Dg8 die Originaldame ist! Warum konnte übrigens nicht zuerst bxDc6 erfolgen?

Nun ist es nicht mehr schwer:

1.h4 a5 2.h5 Ta6 3.h6 Tf6 4.hxg7 h5 5.Sc3 Sh6 6.g8=D h4 7.Dg3 h3 8.Dd6 cxd6 9.g4 Db6 10.g5 Db3 11.axb3 Kd8 12.Ta4 Kc7 13.Th4 a4 14.g6 a3 15.g7 a2 16.g8=D a1=D 17.Dg2 Da5 18.Dc6+ bxc6 19.Se4 La6 20.Sg3 Ld3 21.exd3 Kb7 22.Dg4 Dd8 23.Dg8 Lg7 24.Le2.

Eine klasse und sehr einheitliche Aufgabe mit zwei weißen Ceriani-Frolkin-Damen, einer schwarzen Pronkin-Dame und noch einer weißen Antipronkin-Dame. Natürlich hätte Andrej die Lösung bereits nach 22,5 Zügen enden lassen können, aber die beiden folgenden Halbzüge verbergen noch zusätzlich das Antipronkin-Thema und das „Paradoxe“ der beiden Damen auf der achten Reihe.

Übrigens möchte ich noch an das letzte Retro der Woche erinnern mit dem Vergleich zweier Aufgaben im selben Turnier. Divergierende Meinungen sind ja schon geäußert worden, aber genau deine interessiert mich ganz besonders!

2 thoughts on “Retro der Woche 03/2015

  1. I also like this fine proofgame.
    From a solving viewpoint it may be a little on the easy side. And after Thomas’ excellent analysis, you can see the entire content without even solving.

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