Retro der Woche 36/2016

Der Ukrainer Alexander Abrahamowitsch Kisljak (27.12.1938 – 5.5.2010) war ein Komponist großartiger klassischer Retros und auch ein hervorragender Autor, der seine Artikel gelegentlich auch in Die Schwalbe oder in feenschach publizierte.

So erschien in feenschach Heft 103 im Jahre 1992 von ihm der Artikel „Werwolf-Figuren im Retroland“; hieraus möchte ich die erste Aufgabe vorstellen. Anschließend sehen wir dann deutlich, was Kisljak unter „Werwolf-Figuren“ verstand.

Alexander Kisljak
Schachmati w SSSR 1990, 2. Preis
#1 (14+12)

 

Schauen wir uns zunächst die erforderlichen Schläge an: Schwarz hat offensichtlich zwei Mal geschlagen (bxXa2, cxYd), bei Weiß sieht man drei Schläge auf dem Damenflügel; ein weißer Schlag ist also noch frei. Der muss erfolgt sein, damit die beiden h-Bauern verschwinden konnten: h6xZg7, wobei [Bh7] noch zu Hause steht; beide h-Bauern mussten dann umwandeln.

Damit ist auch klar, dass der letzte Zug Bb4xBa5++ war: [Ba7] konnte seine Linie nie verlassen, musste also dort geschlagen werden; das Vorwärts-Matt ist nun (trivial) 0.—Kc5 1.Db4#.

Um die Stellung im Nordwesten aufzulösen, brauchen wir einen schwarzen Stein, der die weißen Springer befreien kann, und dafür kommt nur ein Springer in Frage.

Das kann nicht sSd1 sein, denn dafür müsste c2-c3 zurückgenommen werden – geht das? Nein, denn dann hätten alle Schläge schwarzer Steine auf schwarzen Feldern stattgefunden (d2xc3xb2xBa5 und h6xZg7) – damit hätte aber der fehlende [Lc8] nicht geschlagen werden können.

Also bleibt wohl nur der Sh1 als „Schlüsselstein“ übrig; versuchen wir es also:
R 1.b4xBa5++ f7-f6 2.Th3-g3 Sg3-h1 3.T~ Se2-g3 4.T~ Sd4-e2 5.T~ Sc6-d4 6.Sb5-a7 Sa7-c6+ 7.Sc6-b8 Lb8-c7+ 8.Sc7-b5+ und Schwarz ist retropatt, da d6-d5?? Illegal wäre.

Warum? Im Süden muss zuerst [Lf1] nach Hause kommen, dann weiter zurück e2-e3, [Lc1] zurück, dann erst d2xc2 etc. Erst danach wird sBa2 frei, also muss [Lf1] von [Bc7] geschlagen worden sein – auf d5!

Daher muss Schwarz anders ein Tempo einsparen, — und das geht verblüffender Weise nur, indem sSh1 zunächst vom Brett verschwindet! Damit kann sich Schwarz das sofortige f7-f6 ersparen und als Tempozug verwahren.

Sofort c6xLd5 kann Schwarz aber auch nicht zurücknehmen, da c6 ja frei bleiben muss für die Springer.

Versuchen wir es also auf diese Weise:
R 1b4xBa5++ h2-h1=S!.2.Tg5-g3 h3-h2 3.Th5-g5 h4-h3 4.Th8-h5 h5-h5 5.Tg8-h8 h6-h5 6.g7-g8=T h7-h6 7.h6xSg7! Se6-g7 8.h5-h6 Sd4-e6 9.h4-h5 Sc6-d4 10.Sb5-a7 Sa7-c6+ 11.Sc6-b8 Lb8-c7+ 12.Sc7-b5+ f7-f6! 13.Sd4-c6 Kc6-b6 14.Sb5-d4++Kd6-c6 15.Sd4-b5+ c6xLd5! und weiter z.B.16.Lc4-d5 17.Lf1-c4 18.e2-e3 19.Se6-c7 20.Lb6-d8 21.Sf3-d4 22.Le3-b6 23.Lc1-e3 24.d2xDc3!, dann wBc2xLb3 und sBb3xTa2.

Damit sind in der Auflösung nicht alle einzelnen Springerzüge eindeutig (so geht z.B. auch 7.— Sf5-g7), aber das ist nicht tragisch. Hingegen sind alle Schlagfälle genau determiniert.

Besonders hübsch finde ich, dass die beiden Fehlversuche (c2-c3 und d6-d5 beide am Farbeffekt scheitern: der weißfeldrige Läufer der anderen Partei kann dann nicht mehr entschlagen werden.

Was meinte Kisljak nun mit Werwolf-Figur? Die definiert er in dem erwähnten Aufsatz so:
„Im Retrospiel verlassen Pseudo `Schlüssel´ Figuren, also die (bildlich ausgedrückt) Werwolf-Figuren das Brett, und an ihrer Stelle leben die wahrhaften `Schlüssel´ Figuren wieder auf, mit deren Hilfe die Stellung gerade noch aufgelöst werden kann.“

Weniger poetisch könnte man es auch so beschreiben: Das Verführungsspiel erfolgt mit einer Phoenix-Figur, während das Lösungsspiel wesentlich durch den entsprechenden Original-Stein erfolgt. Eine sehr elegante, da inhärent einheitliche Idee.

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