Im Retro der letzten Woche habe ich hier den 2. Preis der klassischen Retros im Schwalbe 2008 Informalturnier vorgestellt, nun möchte ich euch den 2. Preis der „Beweispartien“-Abteilung aus dem Preisbericht von Nicolas Dupont zeigen.
Dieser Jahrgang war für mich ein ganz besonderer, da ich mit dem Juniheft 2008 die Sachbearbeitung der Schwalbe-Retros übernommen hatte, nachdem Günter Lauinger diese Abteilung über 31 Jahre -– er übernahm sie von bernd ellinghoven mit dem Februarheft 1977 –- so unnachahmlich geleitet hatte.
Dies erklärt natürlich auch den sehr hohen Anteil an Widmungsaufgaben für Günter im Jahr 2008.
Die Schwalbe 2008, 2. Preis, Günter Lauinger gewidmet
Beweispartie in 19 Zügen (15+12)
Wie üblich beginnen wir mit dem Zählen der sichtbaren Züge und einer Analyse der Schlagbilanz.
Bei Weiß sind wir mit dem Zählen recht schnell fertig: 2+1+0+0+0+2=5 sichtbare Züge – das ist nicht viel! Bei Schwarz ist es ein wenig ergiebiger: 1+0+3+3+1+5=13, aber auch das lässt noch komplette sechs Züge frei. Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb diese relativ kurze Beweispartie ohne ein „C+“ z.B. in der PDB zu finden ist.
Aber vielleicht hilft uns ja die Analyse der Schlagfälle weiter?
Bei Schwarz fehlt ein Bauer am Damenflügel; es ist im Diagramm nicht zu sehen, ob das [Ba7] oder [Bc7] ist. Bei Weiß fehlt [Bd2] und [Lf1]. Der fehlende Läufer musste zu Hause geschlagen werden, da er ja sein Standfeld in der Partieausgangsstellung nicht verlassen konnte.
Das hilft uns schon deutlich weiter, denn wir wissen, dass ein schwarzer Stein im Laufe der Lösung dien Läufer schlagen musste, und für diesen Weg hat er maximal sechs Züge Zeit, wie sich aus unserem Zählen von oben ergibt.
Kann das nicht [Ta8] schaffen? Für den haben wir zwei Züge gezählt, er kann aber via Ta3-d3-d1xf1-d1-d3-g3 mit nur fünf zusätzlichen Zügen [Lf1] abholen, also bleibt noch ein Zug frei?! Nein, wenn wir die achte Reihe betrachten: Tc8 kommt in einem Zug nach der kurzen Rochade nach c8 – dafür aber muss [Dd8] ihr Standfeld räumen und zurückkehren, was zusätzliche zwei Züge verschlingt – also wäre das in Summe einer zu viel! Also bleibt, da der schwarze Turm auf c8 ebenso wenig wie die Springer in sechs Zügen [Lf1] eliminieren können, für diesen Job nur [Dd8] übrig, die durch ihren Marsch zugleich Tf8-c8 ermöglicht.
Theoretisch kann sie dies auf verschiedenen Wegen in sechs Zügen schaffen; schauen wir einmal, ob wir diese Möglichkeiten noch einschränken können. Dazu betrachten wir, wie [Bd2] verschwinden konnte. Um den zu schlagen, steht für Schwarz kein zusätzlicher Zug zur Verfügung, also muss er sich „intelligent“ selbst opfern. Das funktioniert nur via d2-d6xBc7-c8=S-Sb6, womit er erstens [Bc7], der ja nicht ziehen kann, zu Hause schlägt und zweitens Ba7xb6 ermöglicht (Ceriani-Frolkin Thema als „technisches Beiwerk“). Damit haben wir weitere sechs weiße Züge erklärt. Allerdings haben wir damit auch ein zusätzliches Problem: Bd7-d5 kann erst erfolgen, nachdem Bd6xc7 erfolgt ist – und erst dieser schwarze Zug ermöglicht „richtig“ die Entwicklung seiner Figuren.
Also muss nolens volens [Dd8] sehr früh ihre Tour starten, das geht offensichtlich nur über g5 und c1 –- dafür aber muss [Lc1] Platz machen, was, kritisch g5 überschreitend, mittels Lh6 möglich ist. Dann aber muss Schwarz schnell, weil, wie wir gesehen haben, Anderes noch nicht geht, Bg7-g5 spielen, was dem Läufer den natürlichen Rückweg abschneidet, der sich deswegen eine andere Tour suchen muss.
Nun empfehle ich euch, mit diesen Überlegungen selbst nach der Lösung zu suchen; ein wenig Knobelei ist das sicherlich noch.
1.d4 e5 2.Lh6 Dg5 3.d5 Dc1 4.d6 g5 5.dxc7 d5 6.Lg7 Ld7 7.c8=S Ld6 8.Sb6 axb6 9.Lf6 Ta3 10.Ld8! Tg3 11.f3 La4 12.Kf2 b5 13.La5 Se7 14.Ld2 OO 15.c3 Tc8 16.Dc2 Dxf1+ 17.Ke3 Df2+ 18.Kd3 Db6 19.Lc1 Dd8.
Habt ihr eine Idee, wieso ich den doch, wenn man den Weg gefunden hat, wahrlich nicht genialen Zug 10.Ld8 mit einem Ausrufezeichen versehen habe? Nun, wenn ihr jetzt aufs Brett schaut, seht ihr [Lc1] auf d8 und [Dd8] auf c1: Platzwechsel. Und da beide nach Hause zurückkehren, haben wir also auch den „Platzwechsel zurück“: Lois-Thema! Hättet ihr das beim ersten Blick aufs Diagramm erwartet? Ich damals auch nicht …
Toll auch, dass der Rundlauf des Läufers schlagfrei erfolgt und zweckrein nur erforderlich ist, um den der Dame zu ermöglichen. Der wiederum enthält ausschließlich den auslösenden, thematischen Schlag.
P.S.: Parallel zum Schreiben dieses Textes habe ich die Aufgabe mit Natch 3.1 geprüft: Nach 23 Minuten kam das Ergebnis „korrekt“.
I used Euclide 1.01 to test; after 8 minutes he found the solution, with 41 minutes for the complete test.
Very surprisingly, Natch 3.1 did the complete test in 2 seconds on my cheap PC.
Another matter: You might want to enter the award in the PDB, Thomas.
At first sight I did not recognize the problem, but a look-up in the PDB refreshed my memory. I still think it is a beautiful proof game.
Tiny typo: the count should be (14+15), not (15+12)