Retro der Woche 15/2019

„Es ist überraschend für die Alten und tröstlich für die Jungen, dass einer klassischen Retro-Idee noch etwas Neues abgewonnen werden kann, zumal wenn Luigi Cerianis und Michel Caillauds Darstellungen mit ersten Preisen belohnt wurden.“ So begann im Schwalbe Aprilheft 2016 der Artikel Faszinierende Läufer-Korridore in Retroproblemen von Werner Keym. Er fuhr fort: „Um welche Idee geht es? Bei der Auflösung einer Stellung stehen sich in einem Korridor zwei Läufer im Wege, daher muss einer der Läufer ein Ausweichfeld — in der Regel das Standfeld eines Königs oder Turms — betreten, so dass im Vorwärtsspiel nicht mehr rochiert werden darf.“

Der Artikel enthält einen Urdruck, der dann im Jahresturnier 2016 mit dem 2. Preis ausgezeichnet wurde.

Joaquim Crusats, Werner Keym gewidmet
Die Schwalbe 2016, 2. Preis
Matt in einem Zug (13+10)

 

Formal sind solche Aufgaben ja sehr einfach zu lösen: „Es gibt die Matts 1.Ke2# und 1.0-0-0#, da von einer eindeutigen Lösung auszugehen ist, geht aus irgendeinem Grund die Rochade nicht, also ist die Lösung 1.Ke2#.“ Stimmt. Also sind wir damit schon fertig? Natürlich nicht, denn uns interessiert ja der „irgendeine Grund“. Versuchen wir, dem auf die Spur zu kommen.

Schauen wir uns dazu erst einmal die Schlagfälle an: Bei Schwarz fehlen bis auf einen Springer alle Offiziere, und deren Verschwinden ist vollständig durch Bauernschläge erklärt: Wir sehen b2xc3, axb, und wBc7 ist [Bg2], er benötigte also vier Schlagfälle.

Bei Weiß fehlen ein Springer sowie [Dd1] und [Lc1], und auch deren Fehlen ist komplett durch schwarze Bauernschläge (axb, dxc und e7xc6) erklärt.

Weiß setzt Matt, also hat Schwarz zuletzt gezogen: Sowohl e7xd6 als auch d7-d6 würden einen schwarzen Läufer aussperren, sind also illegal. Damit bleibt als letzter schwarzer Zug nur R 1.– f7-f6. Wie kann nun Weiß zurücknehmen? Scheinbar hat Weiß drei Möglichkeiten:

2.a5xD/Sb6? Das ist illegal: sD/S-b6, wBa5 zurück nach a2, sBb6-b5 gefolgt von sBax:Lb6, wLb6 nach c1, wBb2xLc3, sLc3 nach f8, sBe7xD/Sd6; die Stellung scheint aufgelöst, ohne dass das weiße Rochaderecht berührt ist, aber [sTh8] ist endgültig ausgesperrt, also ist diese Zugfolge illegal.

2.Sb4/b8-a6? Das ist ebenfalls illegal: sBa6xD/Sb5, wD/S-b5, sBa7-a6, wBb5-b6, sSb6-a8, wBa4xLb5, sLb5 nach c8, sBd7-d6. Auch hier die Stellung aufgelöst, ohne dass das weiße Rochaderecht berührt ist, aber dieses Mal ist [sTa8] endgültig ausgesperrt, also ist auch diese Zugfolge illegal.

Bleibt also nur noch 2.a5xLb6! Der schwarze Läufer muss nach f8 zurück, befindet sich aber zunächst in einem Korridor von b8 bis c1. 2.– La7-b6 und weiter wBa5 nach a2, sLa7 nach b4, sBb6-b5 und sBa7xLb6. Nun befindet sich auch der weiße Läufer, der zurück nach c1 muss, in diesem Korridor. „Dummerweise“ ist ihm der schwarze Läufer dabei im Weg, wie kommen die beiden nun aneinander vorbei? Die einzige Möglichkeit ist, dass einer der beiden Läufer Platz macht — und dafür wird das Feld a1 gebraucht! Dazu muss also [Ta1] wegziehen, und damit ist das weiße Rochaderecht verwirkt.

Dann geht es weiter: sLb4 nach a1, wLb6 nach c1, sLa1 nach b4, wBb2xTc3, sTc3 nach h8, sLb4 nach f8, sBe7xD/Sd6 usw. Daher ist 1.0-0-0#? unzulässig; Weiß kann nur mittels 1.Ke2 mattsetzen.

Solche Läufer-Läufer Korridore gibt es schon einige; sie werden in dem Artikel vorgestellt. Hier haben wir aber erstmals die Situation, dass beide thematischen Läufer noch nicht im Diagramm zu sehen sind, sondern erst noch entschlagen werden müssen.

Werner Keym schließt die Besprechung dieser Aufgabe mit: „Diesen reichen Inhalt vermutet man in der überschaubaren Stellung nicht. Eine optimale Erstdarstellung des Läufer-Korridors ohne Startläufer. Bitte nachspielen und genießen!“

Dem kann ich mich nur anschließen.

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