Normalerweise schauen wir bei Auflöse-Retros zunächst nach der Schlagbilanz, zählen und bewerten die fehlenden weißen und schwarzen Steine und stellen häufig fest, dass alle, zumindest fast alle fehlenden Steine durch Bauern geschlagen worden sind. Dieses Ergebnis ist wichtiger Ausgangspunkt für die ersten Löse-Überlegungen.
Doch es gibt natürlich auch Ausnahmen; eine davon möchte ich heute vorstellen: 1940 komponierte der große Luigi Ceriani eine Auflöse-Aufgabe, die überhaupt keine Bauernschläge enthält, in der alle fehlenden sechs Steine von Offizieren geschlagen werden. die wollen wir uns einmal anschauen.
Fairy Chess Review, 1940
Öffne den Südkäfig (13+13)
Ceriani (auch den mehr an Beweispartien interessierten sicherlich als “der Ceriani aus dem Ceriani-Frolkin-Thema” bekannt) liebte es übrigens, nicht so trocken wie heute meist üblich einfach die Auflösung zu fordern, sondern kleidete dies meist in die Aufforderung, den Käfig, den er noch durch Angabe der Himmelsrichtung angab, zu öffnen. Dabei meint “Süden” die weiße Seite des Bretts, Westen den Damenflügel.
Schnell sehen wir, dass keine Umwandlungen stattgefunden haben können (8+8 Bauern), dass Schwarz wegen seiner Bauernstruktur überhaupt keine Bauernschläge hat machen können, und ebenso sehen wir, dass die fehlenden schwarzen Türme “im Norden”, nämlich innerhalb des Bauernwalls geschlagen worden sein müssen.
Und damit muss auch der fehlende schwarze Springer von einer weißen Figur geschlagen worden sein, denn als Bauernschlag wäre theoretisch nur g:h3 oder h:g3 in Frage gekommen — aber dann fehlt für den zweiten Bauernschlag wegen der schwarzen Türme ein Schlagopfer.
Das Schachgebot in der Diagrammstellung kann offensichtlich nur durch die Rücknahme von Sd1-e3 erklärt werden — und dabei muss Schwarz bereits entschlagen, denn sonst hätte Weiß keinen legalen Rücknahmezug, wäre also “retropatt”.
Damit läuft die Rücknahme im Prinzip so (die einzelnen Wartezüge können natürlich anders erfolgen):
1.– Sd1:Le3+ 2.La7-e3 c7-c6 (nicht f7-f6, da der schwarz König dann nicht mehr nach Hause kommen kann) 3.Ld4:Ta7 Ta8:Sa7 4.Sc6-a7 a7-a6 5.Se5-c6 Tb8-a8 6.Sf7-e5 Ra8-b8 7.Sh8-f7 Tb8-a8 8.Sf7:Th8 Tg8-h8 9.Se5-f7 Rh8:Lg8 10.Ld5-g8 Ta8-b8 11.Lf3-d5 Tb8-a8 12.Lg4:Sf3 Sg1-f3 13.Sc4-e5 Kh1-h2 14.h2-h3 Ta8-b8 15.Dh3-f1, und nun löst es sich leicht auf: Der schwarz König entschwindet via g2, dann kann auch der weiße König gen Osten verschwinden, um die sD ebenfalls via f1-h3 zu befreien.
Ist euch aufgefallen, dass dies eine Entschlag-Kette ist? sS:wL:sT:wS:sT:wL:sS.
Und ist euch aufgefallen, dass der schwarze Springer nur auf f3 entschlagen werden konnte — und auch nur vom Läufer, nicht von weißen Springer? Eine raffinierte Konstruktion!
It was delightful to revisit this classic.
Wer sich näher mit dieser Thematik befassen möchte, dem sei der Artikel “Feilen an Ketten – ein kompliziertes Retrothema von Dr. L. Ceriani” von Andrej Kornilow empfohlen – zu finden auf der Schwalbe-Webseite http://www.dieschwalbe.de/schwalbe/2005_216/kornidia.pdf – und wer gern Cooks jagt, wird dort auch fündig werden (was nur beweist, wie schwierig die Thematik zu realisieren ist, wenn man mehr als nur das immer gleiche Schema präsentieren will …)