Nachdem ich in der letzten Woche hier den zweiten Preis des 3. FIDE World Cup aus dem Jahr 2013 vorgestellt hatte, möchte ich euch heute wie versprochen das Siegerstück präsentieren.
Die beiden Aufgaben sind vielleicht auch ein gutes „Übungsbeispiel“, um für sich selbst zu überlegen: „Wäre ich der Preisrichter gewesen, welches dieser beiden Stücke hätte ich vor dem anderen platziert – und warum?“ Ich selbst finde es immer recht schwierig, Aufgaben unterschiedlichen Typs in eine vernünftige Reihenfolge zu bringen und auch noch plausibel zu begründen.
3. FIDE World Cup 2013, 1. Preis
Beweispartie in 25,5 Zügen (16+13)
Hier ist das Zählen der erforderlichen Züge nicht so einfach wie sonst häufig: Wir sehen zum Beispiel den sTh1, der nur dorthin gelangen konnte, wenn der [wSg1] seinen Platz vorher verlassen hatte. Und irgendwie muss ja auch der [wTh1] seinen Platz haben verlassen können. Bauern- Damen- und Läuferzüge bei Weiß sind einfach zu berechnen: Das sind minimal 8+4+2=12; bei den weißen Springern haben wir schon gesehen, dass [wSg1] hat ziehen müssen; wir kommen damit auf mindestens 4 Züge, in Summe also 18. Hierbei sind die Springerwege noch nicht eindeutig festgelegt: Es ist sowohl Sg1-f3-g1 und Sb1-c3-e2 als auch Sg1-e2 und Sb1d2-f3-g1 möglich.
Bei König und Turm ist es noch etwas komplexer: der wTf7 muss ja irgendwie dorthin gelangt sein. Für [wTh1] wäre der Weg viel zu lang, das ist also der [wTa1]. Dafür gibt es ebenfalls zwei Möglichkeiten, wenn wir sofort den wK in die Überlegungen einschließen: wKe1-d1-c1-b2-a3, Ta1-a8-f8-f7 und Th1-a1 oder 0-0-0, Kc1-b2-a3, wTd1-a1-a8-f8-f7 und wieder Th1-a1. Beide Kombinationen benötigen acht Züge, und damit sind alle weißen Züge erklärt.
Bei Schwarz ist es noch komplizierter: Schließlich erfordert der Weg des weißen Turms von a1 nach f7 „freie Bahn“, erlaubt keine Umwege. Daher muss Schwarz Platz schaffen.
Zu diesem Zweck muss sich [sBa7] auf a1 umwandeln (warum kann der Bauer nicht anders verschwinden?) – das aber erfordert, dass [wTa1] zu diesem Zeitpunkt nicht auf seinem Ursprungsfeld steht. Damit haben wir schon die „Rochade-Version“ für wTa1 und wK bestätigt.
Gleichzeitig können die vier schwarzen Steine auf der a-Linie bzw. der 8. Reihe erst nach dem Trip des wT nach f7 (besser gesagt nach den einzelnen Stationen auf seinem Trip) ihre Plätze eingenommen haben. Das verleitet uns z.B. zu der Vermutung, dass sSb8 über f6 und d7 dorthin gelangt ist, dass [sSb8] nach wTa1-a8 nach a6 entfleucht ist.
Ebenso muss sTa8 von h8 kommen, denn [sTh8] kann nicht in vernünftiger Zeit nach h1 gehen, ebenso kann [sTa8] nicht anders für seinen weißen Gegenspieler Platz machen.
Das stellt darüber hinaus die Frage, wie denn überhaupt [sTa8] nach h1 gelangt sein kann? Garantiert nicht direkt über a1, denn dann hätten sich die beiden Türme gegenseitig im Weg gestanden. Also muss es wohl via a3, g3 und g1 gegangen sein.
Nach diesen Vorüberlegungen steht zwar schon das Gerüst der Lösung, aber die Details sind immer noch nicht leicht zu finden: So verblüfft der Tempozug des [sTa8], und auch die Rückkehr des [sLc8] hätte ich nicht sofort erwartet.
1.a4 d6 2.a5 Dd7 3.a6 Dh3 4.axb7 a5 5.e4 a4 6.Le2 a3 7.Lh5 a2 8.Dg4 Ta3 9.Se2 Tf3 10.d3 Le6 11.Lg5 Kd7 12.Sd2 Kc6 13.OOO a1=S 14.Lh4 La2 15.b3 Sf6 16.Kb2 Sfd7 17.Txa1 Lb1 18.Ta8 Sa6 19.Txf8 f6 20.Tf7 Ta8 21.Ka3 Sdb8 22.Dc8 La2 23.g4 Tg3 24.Ta1 Tg1 25.Sf3 Th1 26.Sfg1.
Kurz der Inhalt zusammengefasst: Vier Siblings (also eine Figur steht auf dem Ausgangsfeld des anderen Steins gleicher Art und Farbe) auf a1, a8, g1 und b8 (also je ein weißer und ein schwarzer Turm und Springer), dazu noch eine Schnoebelen-Umwandlung auf a1 (Stein zieht nach seiner Umwandlung nicht und wird geschlagen), zwei Rückkehren (wTa1 nach 0-0-0 und sLa2-b1-a2) sowie der Tempoverlust des sT (Ta3-f3!-g3). Eine klasse Themenverbindung, ein „starkes Stück“, wie ich finde.
Die Aufgabe ist übrigens nicht Computer-geprüft; für Kochversuche kommt nach meinem Gefühl (ohne dass ich nun gesucht hätte) am ehesten der Südwesten in Frage, ob man nicht mit irgendwelchen Tricks sLa2 wBb3 etwas später ziehen kann, so dass das Manöver sLa2-b1-a2 eingespart werden könnte?! Wollen wir es nicht hoffen…