Im Retro der Woche 49/2013 hatte ich bereits den ersten Preis im Probleemblad 2004 Turnier vorgestellt, heute soll nun der 3. Preis folgen. Auf den zweiten werde ich hier auch noch eingehen.
Hier nun zeigt uns Gerd Wilts eine relativ kurze, aber doch nicht so ganz einfach zu lösende Beweispartie, wenn ich mich an meine eigenen Versuche erinnere.
Probleemblad 2004, 3. Preis
Beweispartie in 18 Zügen (11+14)
Zunächst einmal bekommt man einen Schrecken: Nur zwei Züge des Weißen sind im Diagramm sichtbar – wo sind die anderen 16 geblieben? Aber das ist nicht ganz so tragisch, wenn man sich einerseits die schwarzen Züge anschaut und dann noch betrachtet, welche weißen Steine fehlen und wie sie verschwunden sein können.
Beginnen wir mit der Inventur der schwarzen Züge: Man sieht schnell, dass Schwarz für die minimale Anzahl seiner Züge lang rochiert haben muss. Wenn man das berücksichtigt, kommt man auf 2K+1D+3T+3L+4S+5B Züge – das sind 18; damit sind alle schwarzen Züge erklärt.
Aus Lösersicht besser noch: damit sind alle Züge auch eindeutig definiert, denn für die kürzesten Wege aller schwarzen Steine von der Ausgangs- bis zur Diagrammstellung gibt es nur jeweils eine Möglichkeit.
Ein wenig schwieriger schaut das mit den weißen Steinen aus.
Hier sind nur zwei Züge direkt sichtbar; das hilft nicht viel weiter. Spannender und nützlicher ist allerdings die Frage, wie und wo die fehlenden weißen (und auch schwarzen) Steine verschwunden sein können.
Dazu finden sich schnell wichtige Erkenntnisse: sBb7 und sBg7 konnten nicht ziehen, wurden also zu Hause geschlagen. Von den fehlenden weißen Steinen konnten nur wLc1, wBd2 und wBe2 direkt geschlagen werden, und zwar auf c1, d4 und e3; damit sind zwei weitere weiße Züge erklärt.
[wBc2] und [wBf2] konnten hingegen nicht direkt geschlagen werden (wo hätte das passieren sollen?), haben also umgewandelt. Dafür liegen die Umwandlungsfelder b8 und g8 mehr als nahe, da dann auch gleichzeitig die beiden fehlenden schwarzen Bauern entsorgt werden können.Nun gilt es also „nur noch“ herauszufinden, wie und wo die beiden fehlenden Steine noch verschwinden können. Versuchen wir es einmal mit dem Ausschlussverfahren: Das Phoenix-Thema lässt sich in der kurzen noch verbleibenden Zeit nicht darstellen: Welcher Stein auf dem Brett sollte denn ein Umwandlungsstein sein, wie sollte dann der Originalstein verschwunden sein?
Das Schnoebelen-Thema ließe am meisten Zeit, aber das kann auf dem Damenflügel nicht sein, da der umgewandelte Bauer der langen Rochade im Weg stünde – und auf dem Königsflügel?? Da können wir es auch ausschließen, da dann eine Unterscheidung zwischen g8=S und g8=L nicht möglich wäre, denn der sK verschwindet ja Richtung Damenflügel und kann damit eine Umwandlung auf g8 nicht determinieren.
Bleibt also nur Ceriani-Frolkin: Was wurde erwandelt und wo geschlagen? Das macht die Sache ziemlich schwierig, denn die sonst üblichen Doppelbauern, die den Schlag einer CF-Figur leicht erklären, gibt es hier nicht (der auf der d-Linie erklärt sich bereits anders)! Bauernschläge scheiden prinzipiell aus, da ja die schwarzen Züge komplett verbraucht sind und damit Doppelschritte aller Bauern erforderlich sind.
Also bleibt nur das Schlagen der CF-Figuren durch schwarze Offiziere, und das machte die Sache beim Lösen für mich so kniffelig. Denn ich dachte zunächst an b8=S, Sa6, Lxa6 – praktischer geht es kaum, und für Weiß bleiben drei Züge übrig, um den Umwandlungsstein von g8 los zu werden.
Das wäre alles toll, wenn es nicht ein hübsch eingebautes Hindernis gäbe: Die Stellung des sD! Die nämlich fesselt den wBf2 und hindert ihn, zur Umwandlung zu starten. Dessen Entfesselung ist dann der Schlüssel zur Wahl der beiden Umwandlungen, aber das Verschwinden ist dann immer noch höchst raffiniert!
1.c4 e5 2.c5 Dh4 3.c6 Se7 4.cxb7 c5 5.d4 Sbc6 6.b8=D exd4 7.Dg3 La6 8.f4 OOO 9.f5 Te8 10.f6 Sd8 11.fxg7 f5 12.g8=D Lh6 13.D8b3 Lxc1 14.e3 f4 15.Db8+ Kxb8 16.Le2 Sc8 17.Kf1 Txe3 18.Dg8 Txg8.
Also haben wir hier zwei CF-Damen, die sich jeweils auf dem Umwandlungsfeld der anderen Dame opfern: Höchst originell! Spannend ist es zu sehen, mit welch geschickten Kniffs Gerd die Reziprozität erzwungen hat. Eine klasse Aufgabe!
lieber thomas,
danke! ich teile deine begeisterung für diese aufgabe voll! jetzt, wo (auch dank deinen erklärungen) das ganze vor mir steht, wirkt es eigentlich plötzlich sehr einfach und wunderbar klar. dies beruht m.e. darauf, dass es keinerlei unnötiges beiwerk gibt. die schwarzen züge stehen (weitgehend) von anfang an fest und bilden nur den hintergrund. so kommen die beiden thematischen, zueinander axialsymmetrischen wanderungen c2-c6-b7-b8-g3-g8 (in form eines “N”) und f2-f6-g7-g8-b3-b8 (in form eines “legasthenischen” N) wunderbar zur geltung.
ich kannte das problem vorher noch nicht.
Hallo Urs, wenn Du dieses Problem noch nicht kanntest, dann interessiert es Dich vielleicht, daß das analoge Thema mit zwei platzwechselnden Umwandlungstürmen ebenfalls schon dargestellt wurde, und zwar in einer Gemeinschaftsproduktion von Gerd Wilts und Reto Aschwanden; siehe P1017574 in der PDB.
lieber bernd,
danke für diesen hinweis! schön! der schwarze themazug te1-g1wirkt im vergleich mit der route g1-g6-e6-e1 etwas karg; andrerseits ist die durch diese vier züge der umwandlungstürme gebildete “umlaufung” des rechtecks e1,g1,g6,e6 ornamental auch sehr schön.