Heute möchte ich wieder einmal eine „klassische“ Beweispartie vorstellen, der man das eigentliche Thema nicht sofort dem Diagramm ansieht – so zumindest ging es mir, als ich das Stück zum ersten Male sah.
The Problemist 2009, 1. Preis
Beweispartie in 27,5 Zügen (16+14)
Beginnen wir wie üblich kurz mit der Inventur: Schwarz hat überhaupt nicht geschlagen, bei ihm fehlen zwei Steine: Ein Turm und der [sBc7]. Wir können sicher sagen, dass der sT aub b3 geschlagen worden ist; über den [sBc7] können wir im Moment nur sagen, dass er nicht von einem Bauern geschlagen worden ist.
Bei der Klärung seines Schicksals kann uns das Zählen der erforderlichen schwarzen Züge helfen:
Der schwarze König erreicht a7 am schnellsten mittels langer Rochade, das sind drei Züge. Dann kann die sD nur via a5 (nicht e8) in zwei Zügen nach h5 gelangen. Die schwarzen Türme brauchten jeweils drei Züge nach b3 (siehe oben) und e3, damit haben wir bisher elf Züge identifiziert.
Auch für die schwarzen Läufer ist der kürzeste Weg auf ihre Zielfelder eindeutig: Lc8-b7-e4-c2-d1 und Lf8-g7-e5-h2, macht sieben Züge, in Summe 18. Die Springer haben offensichtlich mindestens fünf Züge benötigt, und dann sehen wir noch vier Bauernzüge.
Das sind in Summe 27 schwarze Züge; daraus können wir verschiedene Tatsachen ableiten: Es sind in der Lösung immer die minimalen schwarzen Zügezahlen erforderlich, und gleichzeitig wissen wir, dass [sBc7] zu Hause geschlagen worden ist: Für ihn bleiben einfach keine möglichen Züge übrig.
Wann und durch wen wurde er nun geschlagen? Wegen des eindeutigen Wegs der sD über a5 nach h5 muss sie sehr früh dorthin gezogen haben: sowieso vor der langen Rochade, aber vor allen Dingen, weil erst nach Da5-h5 der erste schwarze Bauernzug erfolgen konnte, da er sonst die 5. Reihe versperren würde. Und Bauernzüge sind Voraussetzungen für die Befreiung der Läufer und Türme sowie für Sf6.
Bleiben also vor Dd8-a5 nur Züge des [sSb8], also maximal vier. Das heißt aber weiterhin, dass [wTa1] im vierten Zug auf c7 geschlagen haben muss (nicht [wTh1], da dann der sS nicht rechtzeitig hinter wBa4 kommt). Also müssen wir mit 1.a4 beginnen, die nächsten Züge sind auch klar: 1.– Sc6 2.Ta3 Sd4 3.Tc3 Sb5 4.T:c7 Sa3, und nun muss wTc7 sofort wieder ziehen, um Da5 zu ermöglichen.
“Dummerweise” hat ihm nun sSa3 den Rückweg abgeschnitten, wie kommt er wieder nach Hause?? Überraschender Weise gar nicht – der Diagramm-Turm auf a1 ist [wTh1], da [wTa1] nirgendwo so geparkt werden kann, dass er das schwarze und weiße Spiel nicht stört und trotzdem (nur via c1) rechtzeitig nach Hause zurückkehren kann.
Also muss er nach h1 ausweichen, und sein Kollege bewegt sich über die erste Reihe langsam aber sicher gen Westen. Damit ist die Lösung ein hübsches Verschieberätsel für die weißen Steine, die Platz machen müssen. Zusätzliche Zeitdruck entsteht dadurch, dass Weiß vor dem Freilegen von f1 ja g3 gezogen haben muss – und das geht erst, nachdem [sLc8] auf h2 angekommen ist.
Nach all diesen Vorüberlegungen ist die Lösung so schwierig gar nicht mehr zu finden: Mir jedenfalls hat das Stück viel Spaß bereitet, ich hoffe, euch auch?
1.a4 Sc6 2.Ta3 Sd4 3.Tc3 Sb5 4.Txc7 Sa3 5.Tc3 Da5 6.h4 Dh5 7.Tch3 g5 8.Sf3 Lg7 9.Tg1 Le5 10.Thh1 Lh2 11.g3 b5 12.Lh3 Lb7 13.Kf1 OOO 14.Kg2 Kb8 15.Te1 Tc8 16.Kf1 Tc3 17.Sg1 Tb3 18.cxb3 f5 19.Dc2 Sf6 20.Td1 Tc8 21.Ke1 Tc3 22.Lf1 Te3 23.Dc4 Le4 24.Sc3 Lc2 25.d3 a5 26.Ld2 Ka7 27.Ta1 Ld1 28.Sb1..
Hans Gruber schrieb dazu: „Wahnwitziger Turmplatzwechsel: Der [wTh1] tankt sich — mit drei Zwischenstopps (9.Tg1, 15.Te1, 20.Td1) — auf der ersten Reihe durch. Danach wird (fast) alles wieder hergerichtet.“
Dieses Problem erinnert an ein anderes mit Trippelschritten eines Turmes, von Satoshi Hashimoto; siehe hier im Retroblog:
http://www.thbrand.de/2013/06/02/retro-der-woche-232013/
Zwei tolle Probleme, die das Motiv auf sehr unterschiedliche Weise einsetzen!
Den Hinweis auf diese Aufgabe hatte ich mir bewusst gespart: Ich wollte mal schauen, ob einem Leser das Hashimoto-Stück wieder einfallen würde.
Dass das dann Bernd als erster war, ist vielleicht nicht so überraschend, wenn man meine Nachbemerkung von damals nachliest… 😉