Retro der Woche 11/2014

Nachdem wir in der letzten Woche einen Springer-Platzwechsel gesehen hatten, der einen Tempoverlust ermöglichte, bleiben wir beim Thema „Tempoverlust“ – und beim gleichen Autorenpaar.

Auch hier geht es um ein ungewöhnliches Manöver, das den Tempoverlust erst ermöglicht, und der Grund ist nicht auf den ersten Blick zu sehen.

 

Roberto Osorio & Jorge Lois
Länderkampf Argentinien-Italien 2009-2010
Beweispartie in 23 Zügen (16+11)

 

Weiß ist komplett, bei Schwarz fehlen neben dem sLc8, der zu Hause geschlagen sein musste, noch vier Offiziere, die allesamt von weißen Bauern (cxd, dxe3, exf3, hxg3) geschlagen worden sind.

Versuchen wir uns zu überlegen, welche weißen Züge notwendig waren? Drei Königszüge sind offensichtlich, ebenfalls fünf Bauernzüge (auf d4 steht der [wBc2]). Drei Läufer- und wiederum fünf Springerzüge sind ebenfalls mindestens erforderlich. Damit sind noch sieben Züge frei für die Dame und den Turm – dabei muss allerdings [sLc8] geschlagen werden.

Wäre dieser Schlag durch die [wDd1] getätigt worden, so hätte sie mindestens sechs Züge nach b3 benötigt. Aber wTa3 kann sein Feld nicht in einem Zug erreicht haben, also muss wTa3 auf c8 geschlagen haben.

Und wieso kann diesen Schlag nicht wSa4 in vier weiteren Zügen erledigt haben? Dann ginge es doch mit Th1-h3-a3 und Dd1-b3? Nein, denn wTh1 kann sein Ausgangsfeld erst nach h2xg3 verlassen haben – damit aber ist die dritte Reihe versperrt, und der Turm braucht mindestens drei Züge nach a3. Die aber stehen nicht mehr zur Verfügung.

Damit sind die weißen Züge bereits fast vollständig determiniert, aber sie in die richtige Reihenfolge zu bringen, empfand ich als nicht ganz einfach. So muss Schwarz relativ fix den [wTh1] aktivieren, und das geht am schnellsten, wenn sich die sD auf g3 opfert. Dann muss allerdings auch dem [sKe8] schnell die Fluchtmöglichkeit nach f7 eingeräumt werden.

Für die Lösungsfindung ist es sehr hilfreich, sich darüber Gedanken, in welcher Reihenfolge welche schwarzen Steine wo geschlagen werden konnten? Und dabei stellt man dann fest, dass sich der fehlende schwarze Turm bis nach e3 durchkämpfen muss, um sich dort schlagen zu lassen.

Hier nun die Lösung:

1.c3 Sc6 2.Db3 Sd4 3.cxd4 c5 4.Sc3 Dc7 5.Sd1 Dg3 6.hxg3 Sf6 7.Th6 Sd5 8.Tc6 f6 9.Txc8+ Kf7 10.Tc6 g6 11.Ta6 Lh6 12.Ta3 Le3 13.dxe3 Tac8! 14.Kd2 Tc6 15.Kd3 Te6 16.Ld2 Te5 17.Le1 Tf5 18.Ke4 Tf3 19.exf3 Ta8 20.La6 c4 21.Se2 Sb4 22.Sec3 Sc6 23.Sa4 Sb8.

Und warum nicht 13.—Thc8?, das doch eigentlich viel näher liegt? Dann hätte Schwarz nach 19.exTf3 keinen Wartezug! Inhaltlich bedeutet das also einen Sibling auf a8 („Bruder“, also ein Stein, der scheinbar auf seinem Partieausgangsfeld steht, aber in Wirklichkeit von einem anderen Feld stammt) und auch auf b8.

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