Australien ist sicherlich nicht das Land, das einem beim Nachdenken über „Problemschach- oder Retroländer“ als erstes einfallen würde. Dennoch gibt es auch dort natürlich begeisterte Problemfreunde und Retro-Fans — Peter Wong fällt mir da immer sofort ein.
Das Stück, das ich von ihm heute ausgesucht habe, ist bereits 20 Jahre alt und wirkt auf mich noch immer frisch wie am ersten Tag.
The Problemist 1995, 2. Preis (R. Meadley gewidmet)
Beweispartie in 21,5 Zügen (15+9)
Zählen wir die weißen Züge (bei den schwarzen sieht man bereits schnell, dass dort zunächst nicht allzu viele feststehen — auch, weil insgesamt sieben schwarze Steine fehlen), so kommen wir auf 7+0+3+2+1+2=15. Da fehlen also noch sieben! Schauen wir uns jedoch den schwarzen Doppelbauern auf c7/c6 an, ist klar, dass der fehlende weiße Stein auf c6 mittels b7xc6 verschwand. Im Diagramm fehlt aber bei Weiß nur [Bh2].
Der muss also umgewandelt haben, um sich entweder selbst auf c6 schlagen zu lassen oder aber die dort geschlagene Figur zu ersetzen. Als erster Verdächtiger erscheint Ld5: Er kann in einem Zug von g8 kommen, dann wurde [Lf1] auf c6 geschlagen – und Weiß hat nur noch einen Zug frei. Können wir über den etwas sagen?
Wir sehen, dass die weißen Offiziere erst ziehen konnten, nachdem Weiß auf f3 oder b3 hat schlagen können (wTe6 kommt sicher von a1!). Also muss so lange [Bh2] gezogen haben. Der aber muss, um umwandeln zu können, dann unter anderem auf g6 geschlagen haben. Und das kann er erst im vierten Zug getan haben — vorher konnte kein passendes Schlagobjekt dort aufgetaucht sein. Also hat Weiß sein Tempo bereits im ersten Zug (1.h3!) verlieren müssen, um 4.hxSg6 zu ermöglichen.
Das bedeutet auch, dass Weiß alle fehlenden schwarzen Steine direkt auf den eigenen Zugwegen geschlagen haben muss — für Umwege hat er keine Zeit mehr.
Im weiteren Spiel ist es nun an Schwarz, Tempi zu verlieren, um einerseits die weiße „Entwicklung“ (speziell den Königsmarsch nach a1) nicht zu stören und andererseits selbst lang rochieren zu können. Das zum Beispiel verbietet ein Turmpendel des [Ta8].
Beim Lösen stellen wir dann fest, dass Schwarz mit insgesamt vier Steinen jeweils ein Tempo verlieren muss — diese Züge habe ich in der Lösung jeweils mit Ausrufezeichen markiert.
1.h3! Sc6 2.h4 Se5 3.h5 Sg6 4.hxg6 f6! 5.gxh7 f5 6.hxg8=L Th3 7.Ld5 Tb3 8.axb3 f4 9.Ta6 f3 10.Te6 a6! 11.exf3 a5 12.Lb5 a4 13.Lbc6 bxc6 14.Ke2 Lb7! 15.Kd3 La6+ 16.Kc3 Le2 17.Sxe2 Db8 18.Tg1 Db4+ 19.Kxb4 OOO 20.Ka3 Kb7! 21.Ka2 Kb8 22.Ka1.
Diese fünf Tempozüge mit fünf verschiedenen Steinen sind auch heute meines Wissens noch Rekord — und der Aufgabe selbst, dem Diagramm sieht man diesen „Task-Charakter“ nicht an.
Die Aufgabe erzielte übrigens im FIDE-Album eine der kuriosesten Bewertungen überhaupt: Einer der drei Richter (Nikita Plaksin) ist nicht unbedingt als glühender Verehrer von Beweispartien bekannt: Im ganzen Album gab er für diese Gattung relativ wenig Punkte; für dieses Stück nur 1,5. Die beiden anderen Richter hingegen (Andrej Frolkin und Thierry Le Gleuher) zogen jeweils die „vier“ … Ihr ahnt sicherlich, in welche Richtung ich bei diesem Stück tendieren würde?
I also agree with your enthusiasm for this proof game. And the story about the Album scores is interesting.
Ja, ein tolles Problem! Peter Wong diskutiert das Problem in seinem Buch “Parallel Strategy” auf Seite 42. Bei mehreren Tempozügen einer Partei besteht eine besondere Schwierigkeit für den Komponisten darin, “oscillation duals” zu vermeiden. Ein Pendel des schwarzen Turms a8 (a8-b8-g8) wird durch die spätere Rochade ausgeschlossen. Außerdem ist auch Sg8-h6-g8 verhindert, wegen 4…Sh6? 5.gxh7 Sg8 6.hxg8=L f5 7.Ld5 Th3 8.??, und Weiß hat keinen passenden Zug.