Zur Zeit arbeite ich gerade am Preisbericht 2014 für die französische Zeitschrift Phénix, und da ist es auch mal wieder interessant anzuschauen, was dort in der Vergangenheit publiziert wurde.
15 Jahre vor meinem Berichtszeitraum erschien dort unser heutiges Retro der Woche, und diese Aufgabe fasziniert mich immer wieder — euch wird sie auch gefallen, da bin ich mir sicher!
Phénix 1999, 1. Preis
Beweispartie in 25,5 Zügen (15+13)
Auch wenn nicht allzu viele Züge direkt offensichtlich erscheinen, können wir den dann nahe liegenden Gedanken „Umwandlungen“ schnell ad acta legen, wenn wir uns die Schlagbilanz anschauen: Bei Weiß fehlt nur die Dame, die offensichtlich auf f6 geschlagen wurde. Für den einzig fehlenden Bauern, [Bb7] bleibt nun kein notwendiges Schlagobjekt, da er wegen des wBb2 nicht auf seiner Linie schlagfrei umwandeln konnte.
Neben diesem Bauern fehlen bei Schwarz noch die Dame und ein Turm — damit wissen wir auch, dass [Bb7] durch Ba4xb5 verschwand; die beiden anderen weißen Doppelbauern erklären die beiden fehlenden schwarzen Offiziere.
Zählen wir aber doch einmal die schwarzen Züge: Sichtbar sind direkt 3+0+2+6+3+3=17: Da bleiben noch acht Züge offen, kann uns das überhaupt weiterhelfen? Dass b7-b5 erfolgt sein muss, wissen wir bereits; ferner muss [Dd8] mindestens zwei Züge gemacht haben, um sich auf der e- oder f-Linie schlagen zu lassen. Ferner muss ebenfalls dort der fehlende sT geschlagen worden sein. Welcher das auch immer war, braucht er mindestens drei Züge. auf sein Opferfeld. Und um den [Th8] heraus zu lassen, muss auch [Sg8] gezogen haben und wieder zurück gekehrt sein — und damit sind alle schwarzen Züge erschöpft.
Vor allen Dingen wissen wir damit, dass Schwarz lang rochiert hat: Anderenfalls hätte der schwarze König vier Züge nach a8 gebraucht, und die stehen nicht zur Verfügung.
Für diese Rochade stört aber La6 massiv: Der musste schon vor der Rochade auf sein Diagrammfeld gelangen, denn später ging das nicht mehr, denn zur Rochade mussten [Lc8] und [Dd8] ihre Plätze schon geräumt haben; dazu wiederum musste b7-b5 (für den Läufer) und c7-c6 (füe die Dame) schon geschehen sein: Hinterher hätte [Lf1] sein Diagrammfeld a6 nicht mehr erreichen können.
Damit muss also ein weißer Stein auf b7 ein Schild bilden, um die schwarze Rochade zu ermöglichen: Ein schwarzer Stein hätte keine Zeit dafür. Ein Springer kann dies nicht sein, da er gleichzeitig d8 beobachten und damit die Rochade unzulässig machen würde.
Also muss diese Aufgabe ein weißer Turm übernehmen! Der allerdings muss frühzeitig in den Nordosten marschieren, da später der Damenflügel bereits zugebaut ist. Das ist noch relativ einfach zu schaffen: axb5, Ta6, Tb6, Tb7. Auf diesem Weg kommt er allerdings nicht mehr zurück nach Hause; dazu muss er den Umweg über g8 nehmen.
Das wiederum bringt ihn in Kollision mit dem schwarzen König, der nun eines weiteren Schachschutzes bedarf, damit der Turm dann via c7, c8, g8 wieder ins Freie kommt. Und das wiederum kann nur [Lc1] sein!
Damit steht das Grundgerüst für die Lösung, und nun ist es „nur“ noch Fleißarbeit, die genaue Zugfolge herauszufinden.
1.a4 b5 2.axb5 Lb7 3.Ta6 Lf3 4.Tb6 Lh5 5.g4 Sc6 6.Lg2 Se5 7.Lb7 a5 8.La6 c6 9.Tb7 Db6 10.h4 De3 11.dxe3 OOO 12.Tc7++ Kb8 13.Dd6 Ka8 14.Df6 gxf6 15.e4 Lh6 16.Le3 Lf4 17.La7 Sh6 18.Lb8 Tdg8 19.Tc8 Tg5 20.Tg8 Tf5 21.gxf5 Lh2 22.Tg3 Tg8 23.Ta3 Tg2 24.Ta1 Seg4 25.Lf4 Sg8 26.Lc1.
Tolle schlagfreie Rundläufe von [Ta1] und [Lc1] um jeweils dem schwarzen König Schachschutz zu geben — für mich immer wieder begeisternd!
The switchback by Sg8 is clear, but the roundtrips by Ta1 and Lc1 are found only by analysis.
Solver-friendly comments by Thomas to a marvellous proof game.
Ja, das ist eine tolle Beweispartie! Beim NRT in Neuss haben wir ja schon die Feinheiten studiert; z.B. den wLa6 und den sLh5, die sich in die Quere kommen; und den verzögerten. aber zeitlich dennoch präzisen Weg des sSb8 nach g4. Das weiße und das schwarze Spiel sind wunderbar miteinander verflochten.