Häufig findet man in Retros eine Vorwärts-Forderung wie „#1“, um dem Problem einen „orthodoxen Anstrich“ zu geben, in der Hoffnung, dadurch vielleicht mehr Interessenten für die Retroanalyse zu finden. Dies war in den Frühzeiten der Retroanalyse, als sie sich noch nicht als eigenständige Problemgattung emenzipiert hatte, sicherlich eine sehr natürliche Überlegung.
Wenn man jetzt solch eine Forderung findet, sollte man immer den genauen Sinn hinterfragen — so auch beim heutigen Beispiel.
Die Schwalbe 1974
#1 — Welches waren die letzten 7 Einzelzüge? (15+6)
Hier ist für Schwarz überhaupt kein Matt zu sehen, und das durch Weiß ist so schwer auch nicht zu finden – also reine „orthodoxe Camouflage“? Nein, sicherlich nicht, denn das Matt verrät auch etwas über die Vergangenheit der Stellung: Weiß kann Matt setzen, ist also gemäß der Forderung am Zug — und damit hat Schwarz zuletzt gezogen.
Und nun können wir uns mit der Retroanalyse der Stellung beschäftigen.
Bei Weiß fehlt nur ein Stein, der nur vom sBb5 geschlagen worden sein kann. Damit scheidet ein letzter Zug des sBf3 aus, auch der schwarze Springer kann keinen Zug zurücknehmen. Also letzter schwarzer Zug 1.– b6-b5?
Nein, das geht nicht, denn der einzig fehlende weiße Stein ist [Lf1], da wLa8 nur durch Umwandlung entstanden sein kann. [Lf1] muss also als weißfeldriger Läufer auf b5 geschlagen worden sein.
Also bleibt als letzter schwarzer Zug nur 1.– g2-g1=S, was den schwarzen König einem Schachgebot aussetzt, das Weiß nur durch Rücknahme der Rochade aufheben kann.
Nun muss Schwarz wieder in ein Schachgebot ziehen — und das kann nur durch die bekannte Rücknahme eines en-passant Schlages aufgehoben werden, und damit haben wir beinahe die Lösung schon zusammen:
1. Txg1# — R: 1.– g2-g1=S 2.0-0-0+ Kg1-h1 3.d5xc6e.p.+ c7-c5 4.Tb6-g6+ Kh1-g1.
Doch halt, warum kann nicht das doch so nahe liegende 4.d4-d5+ zurückgenommen werden?
Hier betritt dann unser Umwandlungsläufer auf a8 die Bühne: er ist der ursprüngliche [Bf2], der sich bis a7 durchgefressen hat. Demnach muss wBc6 von g2 kommen (Bg3 ist [Bh2]) — dorthin kann er aber nicht zurückspielen, wenn Weiß 4.d4-d5+ zurücknähme; dieser Zug ist also illegal, damit das Abzugsschach durch den weißen Turm eindeutig — ebenso wie die folgende Rückkehr des sK.
Diese recht einfache, aber wie ich finde hübsche Auflöse-Aufgabe zeigt den Valladão-Task, für dessen Erfüllung in der Lösung die drei orthodoxen „Sonderzüge“ Rochade, e.p. und Umwandlung auftauchen müssen.
Benannt ist dieser Task nach dem brasilianischen Komponisten Joaquim Valladão Monteiro (15.10.1907 – 1993), der jedoch nicht die Erstdarstellung aufs Brett zauberte: Er popularisierte diesen Task 1966 in einem Thematurnier in O Globo.
Die Erstdarstellung ist jedoch bereit 99 Jahre älter und offensichtlich ziemlich unbekannt, und auch die Retro-Erstdarstellung aus dem Jahre 1909, die häufig als Erstdarstellung angegeben wird, ist sehenswert: Dass der letzte schwarze Zug a7-a5 gewesen sein muss, ist auf den ersten Blick recht überraschend, aber durch das drohende weiße Retropatt nach Rücknahme der Rochade zu erklären.
Beide Aufgaben stelle ich hier mit Lösung vor:
Daily Evening Bulletin 1867
#5 (8+10)
1.0-0-0+ Kc7 2.Lf4+ e5 3.fxe6e.p.+ Te5 4.e7 nebst 5.e8=S#.
Deutsche Schachzeitung 1909
-1w, dann #3 (13+15)
R: 1.0-0-0, dann vor: 1.bxa6e.p. b5 2.Lxb5+ Kd8 3.b8=D#.
Thanks, Henrik – corrected!
Good overview of the Valladao theme.
typo: the piece count should be (15+6), not (16+6)