Vor zwölf Jahren, im November 2003, starb der Stuttgarter Retrokomponist Josef Haas (*28. Januar 1922), der etwa 250 Retros komponiert hat, mit Karl Fabel, Luigi Ceriani und auch Werner Keym in engem Kontakt gestanden hatte. Beruflich war er Kriminalist beim LKA in Stuttgart, ein Spezialist für die kriminialtechnische Erfassung und Identifizierung von Schreibmaschinentypen und -schriften — also ziemlich nahe an der Retroanalyse!
Seine Spezialität waren Rücknahme-Retros mit folgendem Vorwärtsspiel, die häufig sehr verführungsreich und auch retroanalytisch sehr tief waren. Das Stück, das ein prominenter Möchte-gern-Löser mit „Ich sehe nur Verführungen, aber keine Lösung“ kommentierte, das der Autor als seine wahrscheinlich beste Rücknahmeaufgabe ansah, wollen wir uns nun anschauen und systematisch versuchen zu lösen.
Die Schwalbe 1996, 4. ehrende Erwähnung
Weiß nimmt einen Zug zurück, dann #2 (15+9)
Leicht ist zu sehen, dass sBg5 den einzig fehlenden weißen Stein, einen Springer, geschlagen haben muss. Bei Weiß meint man im ersten Moment, dass er vier Mal geschlagen haben muss (bxcxd, gxf3, hxg3), aber das kann nicht stimmen, denn dann hätte Lg1 niemals auf dieses Feld ziehen können.
Also kommt Bg3 von g2, und die weißen Schläge waren etwas komplizierter, nämlich bxcxd, exf3 und hxgxfxe, also sechs weiße Bauernschläge.
Und damit scheidet auch das naheliegende R: 1.b3xXa4 & v: 1.Dxa4+ Kd8 2.Dd7# aus, denn wegen des wBd6 brauchten wir dann noch einen weiteren Schlag axb — und der steht uns nicht zur Verfügung, da dies der achte Schlag wäre, aber nur sieben schwarze Steine fehlen im Diagramm.
Also muss Weiß versuchen, irgendwie wTf5 zu befreien, um dann nach 1.Kxg8 mit 2.Tf8 mattzusetzen. Versuchen wir also R: 1.e4-e5, das ist aber illegal, da ja wBe5 von h2 kommt. R: 1.Tc2-b2 & v: 1.Kxg8 0-0-0+ 2.Tf8+ scheitert am Fluchtfeld b7, R: 1.Sd3/e4-c5 & v: 1.Kxg8 0-0-0+ 2.Tf8+ scheitert am Fluchtfeld d7. Ferner scheitert R: 1.c2-c4 & v: 1.Kxg8 0-0-0+? 2.Tf8# an 1.– Da2+ (1. Kxg7? Sf6!).
Also versuchen wir es mit Entschlägen: R: 1.Bd3xXc4 & v: 1.Kxg8 0-0-0+ 2.Tf8# funktioniert nicht, da in der Stellung nach dem zurückgenommenen weißen Zug sieben weiße Schläge erforderlich sind, aber nur sechs schwarze Steine fehlen — also illegal.
Aber vielleicht können wir ja den sTf5 aktiv entfesseln, indem wir einen Schlag nach f5 zurücknehmen? Versuchen wir also R: 1.Tf7xBf5 & v: 1.Kxg8 0-0-0+ 2.Tf8??, aber das funktioniert nicht, denn der entschlagene Bauer verstellt die Wirkungslinie des Lg4 nach c8, sodass wir nicht einmal ein Schachgebot haben.
R: Tf7xS/T/D schaltet zusätzlich noch einen schwarzen Verteidigungsstein ein, sodass an ein Matt gar nicht zu denken ist,
So führt nur R: Tf7xLf5 & v: 1.Kxg7 ~ 2.Tf8# zum Ziel. Wieso ist hier nun 1.– 0-0-0 keine Verteidigung? Nun, die Rochade ist nicht zulässig, da das Schach des Lf5 gegen den weißen König nur durch R: 1.– g6-g5+ zu erklären ist (sLf5 kann nicht auf sein Zielfeld geschlagen haben!). Und damit kann der wK nur via f7 nach h7 gelangt sein, sodass sKe8 bereits gezogen haben muss, um seinen weißen Kollegen durchzulassen.
Die Aufgabe gefällt mir nicht nur wegen der zahlreichen Verführungen sehr gut, sondern besonders wegen der vielen verschiedenen Widerlegungs-Motive. Und dass dann plötzlich doch noch die schwarze Rochade unmöglich wird, ist natürlich der Clou!
Very interesting retractor and very well explained. The tries are a good blend of forward and retro play, all done with a single White retraction that is not flight-taking for the bK.
Mir gefallen Rückzüger-Probleme dann besonders gut, wenn dabei die Retroanalyse im engeren Sinne zum Tragen kommt; und das ist hier in vielfältiger Weise der Fall! Erwähnenswert ist vielleicht noch eine Broschüre von Josef Haas, in der er viele seiner Retro-Aufgaben gesammelt hat: “Tatort Schachbrett” (von 1999), wobei im Titel auch auf seine berufliche Tätigkeit angespielt wird.
Amazingly rich content for a retractor.