Retro der Woche 18/2016

Zwillinge in Retroaufgaben sind ziemlich selten – ich selbst hatte dies als Thema für das Karl-Fabel-100-Turnier vorgeschlagen, und dort waren sehr gute Aufgaben entstanden.

Gerade ist das neue Heft, Nummer 36, von König & Turm erschienen, in dem u.a. der Preisbericht zum dortigen 6. Thematurnier, gleichzeitig das Hanspeter-Suwe-60 Turnier, veröffentlicht wurde. Hier waren Forderungs- und/oder Bedingungswechsel in Mehrlingen verlangt, in denen die Rochade eine Rolle spielt.

In letzter Zeit haben bei solchen Turnieren, wo die Forderung frei ist, häufig Retros besonders gut abgeschnitten – für mich ein Indiz dafür, welch hervorragende und originelle Gestaltungsmöglichkeiten Retros bieten.

So auch in diesem Turnier, in dem zwei Retros die beiden Preise erhalten. Diese beiden Stücke möchte ich heute und in der kommenden Woche vorstellen.

Wolfgang Dittmann
6. K&T Thematurnier 2016, 1. Preis
a) -2 & #1, b) -2 & #2 VRZ Proca, Anticirce (10+8)

 

Huch, wie soll das denn funktionieren?? Ist nicht automatisch a) eine Kurzlösung von b)?? Da muss der große Retromeister sich aber schon etwas Besonderes ausgedacht haben, wenn das 1. nicht der Fall ist und 2. den Preisrichter Hanspeter Suwe so begeistert hat, dass er das Stück auf den 1. Platz gesetzt hat. (Hier gibt es Erläuterungen zum Verteidigungsrückzüger; zu Anticirce-Procas siehe z.B. die Einstimmung auf Andernach)

Vielleicht wollt ihr vor dem Weiterlesen einen Moment drüber nachdenken, wie das funktionieren könnte??

Genau – das kann nur mit der Idee der Vorwärtsverteidigung (VV) funktionieren!

Hier zitiere ich einfach den Preisrichter Hanspeter Suwe, der das Stück hervorragend erläutert:

„Dies ist ein ganz originelles Problem, mit ziemlicher Sicherheit sogar eine Erstdarstellung, in der die Vorwärtsverteidigung zu einem existenziellen Element des Problemgebäudes erhoben worden ist. Ohne die Regel, hier besser: das Argument der VV wäre der Zwilling b) nicht lebensfähig. In einigen bisherigen Darstellungen kommt der VV eine NL-verhindernde Rolle zu, die von den Retro-Komponisten inzwischen in der Weise kultiviert wurde, dass sie die VV in ein logisches Gefüge der Komposition eingebunden haben. Man lese hierzu Dittmanns Ausführungen in „Der Blick zurück“ (feenix 11, Aachen: Editions feenschach – phénix, VII.2006, vor allem S.154-162).
Während des Rückspiels hat Schwarz jederzeit gemäß der Anschlussforderung die Möglichkeit einer entsprechenden Vorwärtsverteidigung, also in b) der vorliegenden Aufgabe ein zweizügiges Matt zu geben. Ein solches eröffnet sich für Schwarz nach der erzwungenen Rücknahme der langen Rochade. Für Weiß heißt das, diese „Retourkutsche“ zu vermeiden, weshalb das Geschehen auf die andere Brettseite verlagert wird.
Ein kluges und ein weiteres illustratives Beispiel für den Einsatz von Vorwärtsverteidigung vor allem in Proca-Retraktoren in Verbindung mit Anticirce vom Retromeister aus Berlin-Lichterfelde, der leider vor zwei Jahren verstarb. Zu gern hätte ich ihm die Freude mit der jetzigen Preisverleihung gemacht, aber das Schicksal webt eben ganz eigensinnige Fäden … Umso mehr verhilft uns diese schöne Komposition, ein Andenken an einen wunderbaren Menschen und sein grandioses Problemschaffen zu bewahren.“

a) R 1.Ld6-b4? & vor: 1.Sa7+ Kd7!; R 1.Kc1-d2? Kb8(c7)-c8+!
R 1.Kd3-d2! 0-0-0+ 2.Le7-b4 & vor: 1.Sd6#.

b) R 1.Kd3-d2? 0-0-0+ [= Lösung von a)], aber nun nutzt Schwarz die Möglichkeit einer zweizügigen Vorwärtsverteidigung und wechselt ins Vorwärtsspiel: 1.– Ta3+! 2.Ke4 Te3# bzw. 2.Kd2 f1=S# (nicht 1.– Ta3+ 2.Kd2 Td3+? h8~! oder 2.–Lf4+? Lf8!)
R 1.Ke3-d2! Th8-d8+ 2.e4-e5! & vor: 1.g8=T+ Txg8[ T a8] 2.h8=T# (der zweite weiße Retrozug verhindert vor 1.– Lxe5[Lf8]!

Eine beeindruckende und höchst originelle Aufgabe, wie ich finde! Wolfgang fasste die Idee so zusammen: „Die rein numerische Änderung einer Anschlussforderung kann im Proca-Retraktor eigentlich keinen korrekten Zwilling ergeben, weil die eine Lösung in der anderen enthalten sein muss. Durch einen Trick (Vorwärtsverteidigung!) ist dies dennoch möglich.“

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