Retro der Woche 30/2016

Im Retro der Woche 17/2016 hatte ich bereits den zweiten Preis des Schwalbe-Informalturniers 2014 vorgestellt. Heute möchte ich mich dem vierten Preis zuwenden, der ebenfalls beeindruckende, moderne Beweispartie-Thematik zeigt.

Nicolas Dupont & Silvio Baier
Die Schwalbe 2014, 4. Preis
Beweispartie in 30 Zügen (12+14)

 

In seiner unnachahmlichen Art bezeichnete Hans Gruber als Kommentator das Stück als „Eine der leichtesten Übungen seit langem!“, was er wie folgt erklärte: „Bei DER Kombination von Autoren kann man die Erwartungen gleich auf ‚Knüller‘ einstellen. Und sie werden nicht enttäuscht. … Grandios!!“

Dann wollen wir uns diesen Knüller doch genauer anschauen, bei dem keine Doppelbauern im Diagramm zu sehen sind, bei dem also die Schlagfälle zunächst gut verborgen sind.

Bei Weiß sind offensichtlich noch 26 Züge übrig, bei Schwarz müssen wir genauer zählen: 4+1+3+4+3+15=30 – alle schwarzen Züge sind schon im Diagramm verbraucht.

Könnte Schwarz nicht einen Königszug einsparen durch die lange Rochade? Ja – aber diese Einsparung wäre durch die Notwendigkeit von Sb8-xx-b8, also die Rückkehr des [Sb8], zu teuer erkauft.

Aber wir können noch weitere Schlussfolgerungen daraus ziehen, dass wir schon alle schwarzen Züge verbraucht haben: So wissen wir, dass die beiden fehlenden schwarzen Bauern auf ihren Ursprungsfeldern geschlagen worden sind: Für sie ist ja kein Zug mehr frei.

Ferner wissen wir, dass [Dd8] und [Ta8] ihr Diagrammfeld in einem bzw. zwei Zügen erreicht haben. sBd6 kann also nicht [Bd7] sein: Die d-Linie musste für die Dame frei sein. Gleiches gilt für sBa6: Er muss [Bb7] sein, denn sBb2 ist [Ba7]. Anders hätte [Ta8] nicht in zwei Zügen nach g3 gelangen können.

Damit hat es auf dem Damenflügel vier Schläge durch schwarze Bauern gegeben – bei Weiß fehlen die vier Bauern des Königsflügels; sie können also nicht direkt geschlagen worden sein, dann auch [Be2] konnte nicht schlagend auf die d-Linie kommen, um dort geschlagen zu werden. Ihm fehlt nämlich ein Schlagobjekt, da ja die beiden fehlenden schwarzen Bauern auf – das wissen wir nun auch – e7 und g7 geschlagen worden sind.

Also müssen sich alle vier fehlenden weißen Bauer umgewandelt haben (h:g7-g8, g2-g8, f:e7-e8, e2-e8), wofür sie 20 Züge benötigen. Damit bleiben nur sechs Züge übrig, um die vier Umwandlungssteine verschwinden zu lassen.

Damit haben wir nun eigentlich alle wichtigen Informationen zusammen, um die Lösung zu finden. Die Umwandlungen sind dadurch bestimmt, dass die erwandelten Steine ja so schnell wie möglich wieder verschwinden müssen.

1.h4 a5 2.h5 a4 3.h6 a3 4.h:g7 h5 5.f4 h4 6.f5 h3 7.f6 h2 8.f:e7 f5 9.b4 Sf6 10.g8=D f4 11.Db3 Lh6 12.Db2 a:b2 13.g4 Ta3 14.g5 Tg3 15.g6 f3 16.g7 Lf4 17.g8=L Th6 18.Lc4 d5 19.b5 Kd7 20.e8=T d:c4 21.Te6 Sd5 22.Ta6 b:a6 23.b6 Kc6 24.b7 Kb6 25.e4 Ka7 26.e5 Sb6 27.e6 Dd3 28.e7 Le6 29.e8=S Ld5 30.Sd6 c:d6.

Nun kann ich auch Hans‘ Kommentar vollständig hier wiedergeben: „Schwarz benötigt 30 Züge (darunter befindet sich nicht die lange Rochade, weil der eingesparte Königszug mit zwei notwendigen Springerzügen erkauft würde), also muss es [Dd8] in 1 Zug nach d3 schaffen und [Ta8] via a7 in 2 Zügen nach g3. Also steht auf a6 nicht [Ba7], sondern [Bb7], und auf d6 nicht [Bd7]. Also haben zwei schwarze Bauernpaare über Kreuz geschlagen, obwohl man der Diagrammstellung keinen Bauernschlagfall ansieht. Was haben sie geschlagen? Na, die weiße Homebase-Stellung und die Autorennamen verheißen die Antwort ‚4 Umwandlungsfiguren‘, und in der Tat ist es eine Ceriani-Frolkin-AUW!“

Warum hat nun Preisrichter Kostas Prentos „nur“ den vierten Preis hierfür vergeben? Dafür zitiere ich einfach seinen Kommentar aus dem Preisbericht: „Unter allen Aufgaben dieses Turniers war diese für mich am schwersten einzureihen. Sie zeigt eine Allumwandlung von Ceriani-Frolkins ohne Doppelbauern, was durch zwei Paare von Kreuzschlägen erreicht wird. Mit bemerkenswertem technischen Inhalt in sehr ökonomischer Form wäre dieses Problem eigentlich ein Kandidat für den ersten Preis. Jedoch gibt es einige Bedenken, die eine höhere Platzierung verhindern: AUW CFs ohne Kreuzschläge gibt es bereits in zahllosen Beweispartien. Natürlich sind die Kreuzschläge eine signifikante Erweiterung, aber die Tatsache, dass das Züge zählen nur vier Züge für sD und sTT übrig lässt, macht aus der Herkunft der schwarzen Bauern überhaupt kein Geheimnis. Die bereits existierenden Beispiele mit zwei Kreuzschlag-Paaren beeinflussten ebenfalls meine Entscheidung: P1080537 (Dupont) zeigt vier Springer-CF, und das Problem, das in der Lösungsbesprechung vorgestellt wurde (Baier & Dupont, Phénix 2013), zeigt je zwei Turm- und Läufer-CFs.“

One thought on “Retro der Woche 30/2016

  1. Ich erinnere mich die Enttäuschung über Michel Caillaud 1982 AUW mit 3/4 Cer-Fro (P0001530). Warum hatte er nicht der Task vollständig gemacht? Natürlich weil es ist so schwer Pionier zu sein. Es zeigt nur die Bedeutung von Evolution. Nach 34 Jahre ist Dupont-Baier ganz in die Nähe der Letztform!
    Ob b2>b7 schlechtes Ökonomie ist, oder nicht, weiss ich nicht. Aber “nur” 6 weisse Zügen nach Verwandlung sind wohl lieber “gute” Ökonomie. Könnte jemand noch etwas paradoxales addieren, dann wären wir noch näher die “letzte” Letztform.
    Diesmal habe ich die thematischen weisse und schwarzen Zügen ohne schwierichkeit gesehen, aber die Ordnung alle Zügen war wirklich nicht einfach zu finden.

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