Heute möchte ich den runden Geburtstag von Klaus Wenda am letzten Dienstag zum Anlass nehmen, eine seiner Aufgaben mit der Forderung „Verteidigungsrückzüger“ (VRZ) mit „Anticirce“-Bedingung genauer zu diskutieren – in der Hoffnung, dass der eine oder andere ein wenig die Scheu vor dieser unglaublich vielseitigen Aufgabenart verliert.
Erinnern wir uns: Im Verteidigungsrückzüger nehmen beide Seiten legale Züge zurück; Das Ziel von Weiß ist, nach der gegebenen Anzahl von Rückzügen die Vorwärtsforderung zu erfüllen; Schwarz verteidigt sich (wie beispielsweise im normalen Mattproblem) dagegen. Nun gibt es unterschiedliche Typen, die sich darin unterscheiden, wer denn mögliche Entschläge bestimmt: Im Typ Proca ist es jeweils der Zurücknehmende, im Typ Høeg genau der Gegner und im Typ Klan immer Weiß.
Bei Anticirce wird der „Schläger“ nach seinem Schlag auf sein circensisches Standfeld der Parteiausgangsstellung versetzt; ist dieses besetzt, ist der Schlag nicht möglich.
König & Turm 2010
-5 & #1; VRZ Proca, Anticirce (3+9)
Der Autor beschreibt den Hauptplan: „Stünde der sK bereits auf e8, würde R 1.Tc8-c6 & vor 1.De6# durchdringen.“ Das lassen wir uns zunächst einmal auf der Zunge zergehen: Warum ist R 1.Tc8-c6 kein illegales Schachgebot? Richtig: h1 ist von der Dame besetzt. Und warum ist dann De6 matt?? Auf die siebte Reihe kann der sK nicht ausweichen wegen der Dame; er kann aber auch nicht nach d8 oder f8 entkommen, da er dann durch den wTc8 im Schach stünde: Das Wiedergeburtsfeld des Turms wäre dann a1, das im Gegensatz zu h1 frei ist. Warum kann sich Schwarz nicht mit 1.– LxDe6 verteidigen? Richtig; das Wiedergeburtsfeld c8 ist besetzt, der Schlag damit nicht möglich.
Und warum kann Schwarz nicht mit 1.– Dd1 das Wiedergeburtsfeld der wD besetzen? Weil sie damit h1 freigibt, sodass wTc8 nun Schach gibt – mit anderen Worten: wTc8 fesselt sDh1!
Nun schauen wir uns einmal an, wie Weiß den sK nach e8 lenkt – bei der Quelle (König & Turm – Fanzine für Liebhaber von Rochadeangelegenheiten), dem Zielfeld e8 und dem Standfeld c8 erahnen wir vielleicht, dass die Rücknahme der langen Rochade eine Rolle spielen könnte?
Schauen wir uns nun einmal an, wie Weiß die Retro-Lenkung des sK zustande bringt. Dazu muss zunächst einmal der sTf4 nach d8 gelenkt werden. Das gelingt sehr elegant: R 1.Kf2-e2 setzt den wK einem Schach durch Lg3 aus (nicht des sTf4: warum nicht? Richtig, h8 ist besetzt!), das der Läufer selbst nicht zurücknehmen kann, das nur aufgehoben werden kann durch Besetzung seines Repulsfeldes f8 – also R 1.– Tf8-f4+. R 2.Kf1-f2 setzt den wK nun einem Doppelschach durch Tf8 und Dh1 aus. Verstellen funktioniert nicht, also muss R 2.– Td8-f8++ erfolgen: Der Turm nimmt sein Schachgebot zurück und hebt durch Besetzung des Repulsfeldes d8 auch das der sD auf.
Damit haben wir schon die „halbe Miete“: nun müssen wir nur noch Schwarz zur Rücknahme der Rochade zwingen.
Der folgende Zug ist ganz typisch für Anticirce-Retros: R 3.Ke1-f1 – warum? Nun, beim Schlag wird der Schläger wieder auf sein Partieausgangsfeld versetzt; für Retrozüge bedeutet das, sie können nur entschlagen, wenn der Schläger auf diesem Feld steht! Deswegen zurück nach Hause; nun kann Schwarz das Schachgebot durch R 3.– Lf4-g3+ aufheben (warum nicht durch Besetzung des „Heimatfeldes“ des Läufers, also 3.– Tf8-d8??), und nun kommt der Zug, der die Rücknahme der schwarzen Rochade erzwingt und damit sK nach e8 lenkt. R 4.Ka4xTa5[Ke1]! Der König stellt sich ins Schach durch den entschlagenen Turm; dieser kann nicht ausweichen, also muss sein Repulsfeld (a8) blockiert werden, um das Schachgebot aufzuheben. Das kann nur der andere sT, indem Schwarz die lange Rochade zurücknimmt (R 4.– 0-0-0+)! Und nun klappt der Hauptplan.
Zusammengefasst haben wir also folgende Lösung:
R 1.Kf2-e2 Tf8-f4+ 2.Kf1-f2 Td8-f8++ 3.Ke1-f1 Lf4-g3+ 4.Ka4xTa5[Ke1] 0-0-0+ 5.Tc8-c6 & vor 1.De6#.
Ich finde, eine unglaublich elegante Lösung (habt ihr die „Quadrat-Wanderung“ des wK gesehen?)! Wenn ich euch heute ein wenig dazu motivieren konnte, euch zunächst einmal die Lösungen von Anticirce-Rückzügern genauer anzuschauen, dann würde mich das sehr freuen. Und mit der Zeit sind die Aufgaben, wenn man die Anticirce-Retro-Möglichkeiten sich einmal „erarbeitet“ hat, gar nicht mehr soo furchtbar schwer zu lösen!
Nachtrag 18.09.2016: Klaus Wenda und Martin Hintz hatten mich auf zwei Tippfehler in der zusammengefassten Lösung hingewiesen; besonders wichtig war aber der Hinweis von Martin auf den Diagrammfehler: sBe5 fehlte! Das ist nun korrigiert.
Very nice and thank you for the explanation! The problem is not “difficult” as such, but for me, beeing a traditional “orthodox” chess player, my brain just cannot solve it. To do that, it is like standing on your head looking into a mirror. But I enjoy seeing the plot unfold! Klaus W is quite good at these things!