Retro der Woche 43/2016

Ich habe den Eindruck, dass in den letzten Jahren kürzere Beweispartien (weniger als etwa 20 Züge) wieder mehr in Mode gekommen sind, die konzentriert interessanten Inhalt zeigen. Solch ein Beispiel ist unsere heutige Aufgabe.

Roberto Osorio
Orbit 2014, 1. Preis
Beweispartie in 16 Zügen (14+12)

 

Zählt man allein die im Diagramm sichtbaren Züge, so bringt uns das nicht sehr weit. Bei Schwarz sieht man nur drei Bauernzüge, bei Weiß immerhin 0+2+0+2+1+3=8 Züge. Aber auch das ist nur die Hälfte der Zügezahl – mit anderen Worten, noch sind acht weiße und 13 schwarze Züge frei!

Aber zum Glück fehlen ja einige Steine, sodass die uns vielleicht weiterhelfen können.

Bei Schwarz fehlen Dame, die beiden Türme und [Lf8], bei Weiß zwei Bauern. Die beiden fehlenden weißen Steine wurden offensichtlich auf a6 und h6 geschlagen. Haben sich deswegen die beiden fehlenden weißen Bauern umgewandelt? Nein, das kann zeitlich nicht geklappt haben – soo viele freie Züge hat Weiß nun doch nicht!

Also haben [Bc2] und [Bf2] jeweils zwei schwarze Figuren geschlagen? Das kann aber nicht klappen: Nur [Dd8] konnte die achte Reihe verlassen, bevor Schwarz selbst auf a6 bzw. h6 geschlagen haben kann, es fehlen also schlicht die Schlagobjekte hierfür!

Damit bleibt nur eine Möglichkeit: auf a6 bzw. h6 wurden [Ba2] bzw. [Bh2] geschlagen, Ba4 kommt von c2 und Bh4 kommt von f2. Und damit sind plötzlich auch alle weißen Züge erklärt: Drei zusätzliche Züge des [Ba2] und Ba4 benötigte von c2 auch zwei Züge statt nur einen. Das sind vier – auf dem Königsflügel zählen wir ebenso.

Dafür müssen aber die Türme ihre gemütlichen Plätze auf der achten Reihe verlassen haben, um sich aktiv schlagen zu lassen. Am schnellsten geht das mit Sx6, Tb/g8, Tb/g3 und Sb/g8 (Rückkehr). Das braucht acht Züge, damit bleiben noch fünf Züge, damit sich [Dd8] und [Lf8] opfern können. Daher muss wegen der Felderfarbe gxLh4 und bxDa4 erfolgt sein – das benötigt genau die nun noch fünf freien Züge.

Nun sollte es nach diesen Vorüberlegungen nicht mehr allzu schwer sein, die genaue Zugfolge zu finden:

1.a4 Sc6 2.a5 Tb8 3.a6 bxa6 4.h4 Tb3 5.h5 Sb8 6.h6 gxh6 7.cxb3 Lg7 8.Dc2 Lf6 9.De4 Lh4 10.d3 Sf6 11.Lf4 Tg8 12.Sd2 Tg3 13.fxg3 c6 14.gxh4 Da5 15.Lg3 Da4 16.bxa4 Sg8.

Mir gefällt die Aufgabe sehr gut, weil sich die Lösung logisch klar erschließen lässt – und weil sie sehr hübsche Elemente enthält: Die jeweils schlagfreie Rückkehr der schwarzen Springer und vor allen Dingen, dass man zunächst bei Weiß keine Bauernschläge sieht, dann aber erschließen muss, dass vier Bauernschläge in der Beweispartie vorgekommen sind.

Sehr elegant, wie ich finde – als kleinen Nachteil dieser Aufgabe sehe ich an, dass das schwarze Spiel auf dem Damenflügel fast identisch zu dem auf dem Königsflügel. Andererseits könnte man dies auch als hübsche Analogie ansehen – was meint ihr dazu?

One thought on “Retro der Woche 43/2016

  1. It is very possible, as you say, that the SPGs have become shorter and more thematical. To use the most useless of all indicators – statistics – I have calculated that the average number of single moves in orthodox SPGs is 32.7 over the period of 1913-2016, and 32.4 for 1913-2012, and 36.5 for 2013-2016. Meaning what?
    Oh, I should also not forget to mention that Osorio’s problem is a master-piece!

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