Retro der Woche 44/2016

Gelegentlich stellen Autoren anstatt des üblichen „Löse auf!“ auch ganz konkrete Fragen zum Rückspiel, mit denen sie die Löser direkt auf den Inhalt der Aufgabe stoßen wollen. Gelegentlich sind darin die Konstruktion erleichternde Bedingungen enthalten; dies ist bei dem heutigen Beispiel allerdings nicht der Fall: Hier will der Autor mit seiner Frage sofort ein Ausrufezeichen setzen.

Nikolai Beluchow
Die Schwalbe 2010, Hugo August gewidmet, 1. Preis
Wie oft stand der schwarze König in den letzten 66 Einzelzügen im Schach? (16+10)

 

Wenn man kurz die Stellung betrachtet und sieht, wie der schwarze König im Zentrum eingekesselt ist von weißen Langschrittlern, so könnte man direkt auf den Verdacht kommen, dass das wohl 33 Mal gewesen sein könnte?!

Aber bevor wir diesem Verdacht nachgehen, wollen wir uns die Stellung etwas genauer anschauen: Weiß hat noch all seine Steine, während bei Schwarz insgesamt sechs Steine fehlen. Direkt sichtbar ist nur axb5, aber Weiß verfügt ja über zwei Umwandlungssteine: eine Dame sowie einen weißfeldrigen Läufer. Beide müssen, aus [Bg2] und [Bh2] entstanden, via f7 auf e8 oder g8 umgewandelt haben. Und damit sind alle fehlenden schwarzen Steine erklärt.

Damit kann Weiß also bei der Rücknahme irgendwelcher Schachgebote durch seine Langschrittler keinen schwarzen Stein entschlagen, der möglicherweise als Schild dienen könnte – das müssen die weißen Offiziere also allein machen.

Das erfordert trickreiches Platzschaffen für den König; die Strategie dafür ist sicherlich nicht so leicht zu sehen, dennoch solltet ihr es versuchen. Habt ihr ein Feld entdeckt, das die weiße Dame e4 anstreben könnte, um dem schwarzen König Luft zu verschaffen? Wenn ihr dann versucht, die Dame dorthin zu manövrieren, findet ihr auch das Hindernis, das dem noch im Wege steht und das erst noch ausgeräumt werden muss. Und wenn ihr dann noch dran denkt, dass natürlich einfache Stellungswiederholungen nicht weiterhelfen würden, dann sollte das mit einiger Anstrengung machbar sein.

R: 1.Df4-e4 Ke5-d5 2.Dc4-f4 Kd5-e5 3.Dc3-c4 Ke5-d5 4.Dd3-c3 Kd5-e5 5.Ld4-e3 Ke5-d5 6.Lc5-d4 Kd5-e5 7.De3-d3 Ke5-d5 8.Le4-f5 Kd5-e5 9.Lg6-e4 Ke5-d5 10.Dd3-e3 Kd5-e5 11.Dc3-d3 Ke5-d5 12.Dc4-c3 Kd5-e5 Nun haben wir im Vergleich zum Diagramm schon zwei Läufer besser positionieren können. 13.Df4-c4 Ke5-d5 14.Df7-f4 Kd5-e5 15.Te6-c6 Ke5-d5 16.Tf6-e6 Kd5-e5 17.Te6-b6 Ke5-d5 18.Ta6-e6 Kd5-e5 19.Te6-f6 Ke5-d5 20.Tb6-e6 Kd5-e5 21.Df4-f7 Ke5-d5 22.Dc4-f4 Kd5-e5 23.Dc3-c4 Ke5-d5 24.Dd3-c3 Kd5-e5 25.De3-d3 Ke5-d5 26.Le4-g6 Kd5-e5 27.Lf5-e4 Ke5-d5 28.Dd3-e3 Kd5-e5 29.Ld4-c5 Ke5-d5 30.Le3-d4 Kd5-e5 31.Dc3-d3 Ke5-d5 32.Dc6-c3 Dafür also das Turmmanöver, das man im neudeutschen Sinne als Vorplan ansehen könnte, worauf seinerzeit Silvio Baier in der Lösungsbesprechung hinwies. Kd5-e5 33.Dg6-c6 Ke5-d5, und nun kann der schwarze König ohne Schachgebote pendeln, während Weiß beginnen kann, weiter Platz zu schaffen und dann auch seine Umwandlungssteine zu entwandeln. (In der Lösungsangabe habe ich das Schach-Zeichen weggelassen, da es ja hinter jedem weißen Zug hätte stehen müssen.)

Den Kommentar von Preisrichter Thierry Le Gleuher kann ich voll unterschreiben: „Es ist eine Sache, herausragende Probleme zu komponieren, eine andere ist es, neue Ideen zu haben, und an diesen erkennt man den Künstler. Dieses Problem, das scheinbar gewöhnlich aussieht, überrascht uns mit seiner ungewöhnlichen Forderung. Die Lösung ist nicht leicht ersichtlich, da sie recht lang ist (Task), und man läuft Gefahr, sich in den verschiedenen Manövern der weißen Stein zu verlieren, wenn man nicht das Ziel vor Augen hat. Der Task ist beeindruckend, da nicht weniger als 66 Einzelzüge benötigt werden, um die Stellung aufzulösen. Darauf musste man wirklich kommen, und der Autor verdient bei weitem die höchste Auszeichnung für dieses Problem, das mich wirklich beeindruckt hat.“

One thought on “Retro der Woche 44/2016

  1. During the last few years Nikolai has produced a large number of excellent retros, where bold original ideas are shown with a remarkable technical skill.
    It is lamentable that he seems to have taken a break in his composing, but we hope to see more retros from him in the future.

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