Nach welchen Kriterien schätzt ihr die Schwierigkeit einer Aufgabe, beispielsweise einer Beweispartie, ein, bevor ihr sie löst? Zügezahl – länger gleich schwerer? Viele / wenige sichtbare Züge bei einer oder beiden Seiten? Nach dem/n Autornamen?
Falls ihr diese Aufgabe bisher noch nicht kennt: Wie schätzt ihr ihre Schwierigkeit ein?
Messigny 2010, 1.-2. Preis
Beweispartie in 16,0 Zügen (14+14)
Allzu lang ist das Stück nicht, bei Schwarz sieht man eine Menge Züge, bei Weiß erst einmal keinen einzigen, da sich die 14 weißen Steine alle zu Hause befinden. Die Autorennamen sprechen eurer Meinung nach eher für leicht oder eher für schwer? So oder so sicher für Qualität!
Beginnen wir also wie üblich mit dem Zählen der sichtbaren Züge – hier können wir und natürlich auch Schwarz beschränken. Wie üblich zählen wir das absolute Minimum an Züge und kommen dann auf 3+1+1+3+4+4=16 – alle schwarzen Züge sind ausgeschöpft. Das bedeutet vor allen Dingen, dass Dd5 in EINEM Zug auf ihr Zielfeld gelangt sein muss – für zwei Züge, etwa via g5, hat sie keine Zeit.
Das wiederum bedeutet, dass die schwarzen Zentralbauern überkreuz geschlagen haben müssen: erst dxe6, dann Dd5 und erst danach exd6. Also hat Schwarz keine anderen Schlagmöglichkeiten; er kann vor allen Dingen nicht „irgendwo“ die beiden fehlenden weißen Bauern geschlagen haben.
Die müssen sich also auf alle Fälle umgewandelt haben – und zwar auf b8 und g8. Dabei müssen sie auf b7 und g7 die beiden fehlenden schwarzen Bauern geschlagen haben.
Können die umgewandelten weißen Bauern noch auf dem Brett stehen? Dann müssten sie ja einen weißen Offizier ersetzen, der von Schwarz hätte geschlagen werden können. Beide weiße Umwandlungssteine brauchen jeweils mindestens drei Züge, um von b8 bzw. g8 aus einen weißen Stein auf dessen Ursprungsfeld ersetzen zu können. Dann müsste der weiße Originalstein auf seinem Ursprungsfeld geschlagen worden sein – dafür reichen die schwarzen Züge nicht aus, außerdem dürfen wir nicht vergessen, dass [Be7] und [Bd7] überkreuz geschlagen haben! Dies wieder nur wegen des Zeitdrucks in der Beweispartie: Hätten wir beliebig viel Zeit, die Diagrammstellung zu erreichen, wäre der Überkreuzschlag ja nicht erforderlich. (Also haben wir hier echte Betrügerbauern vor uns.)
Nun haben wir eigentlich schon eine Menge geklärt, nun müssen wir eigentlich „nur noch“ herausfinden, ob nun der a- oder der h-Bauer bei Weiß startet – und in welche Steine sich die Bauern umwandeln. Und das ist trickreich durch die Konstruktion festgelegt, denn Damen und Türme können ihre Schlagfelder bereits in zwei Zügen erreichen. Springer und Läufer schaffen es in drei Zügen – witziger Weise kommt ein Sb8 damit nach e6, ein Lb8 aber nach d6.
Nun solltet ihr einfach selbst lösen! Das ist nicht mehr allzu schwer!
1.h4 Sf6 2.h5 Sd5 3.h6 Sb4 4.hxg7 h5 5.g8=L Lg7 6.Lh7 Tg8 7.Lf5 Lh8 8.Le6 dxe6 9.a4 Kd7 10.a5 Kc6 11.a6 Kb5 12.axb7 S8c6 13.b8=L a5 14.La7 Dd5 15.Lc5 Ld7 16.Ld6 exd6.
Nachdem ich heute mit Fragen zur Schwierigkeit begonnen habe, möchte ich mit ästhetischen Fragen enden: Empfindet ihr das „symmetrische“ Spiel der beiden Bauern als positiv oder negativ? Ist es für euch positiv oder negativ, dass der eine weiße Bauer (einschließlich Umwandlung) genau die ersten acht Züge macht, der zweite dann genau die letzten acht?
This attractive proof game was relatively easy to solve for me, and Euclide agrees!
He used 3 seconds to find the solution and another 4 to verify uniqueness.
Interessante Fragestellungen von Thomas. Ich meine auch, bei der Bewertung sollte der thematische Gehalt im Vordergrund und Schwierigkeit komplett hintenan stehen. Ich halte das Stück wegen der sichtbaren schwarzen Züge für ausgesprochen leicht zu lösen. In Preisberichten habe ich schon gelesen, dass es besonders ästhetisch ist, wenn die Züge der Themabauern alle hintereinander folgen. Ich persönlich meine, das ist leichter zu konstruieren und die Interaktion beider Parteien tritt in diesem Fall ein wenig mehr zurück.
Ganz unabhängig davon ist das eine sehr schöne Beweispartie, auch wenn ich den anderen geteilten Preisträger (P1107616) um Klassen besser einschätze – insbesondere, da dort die thematische Dichte (4x Ceriani-Frolkin + 4x Rückkehr – auch sehr angenehm symmetrisch) viel größer ist.
Zur Beurteilung des symmetrischen Spiels in dieser Beweispartie sollte man vielleicht noch berücksichtigen, daß sie in einem Thematurnier teilnahm, in der es um Echos im Spiel zweier Umwandlungsfiguren ging; siehe
http://www.phenix-echecs.fr/Messigny/Messigny_2010.pdf
In diesem Kontext ist das symmetrische Spiel natürlich positiv zu bewerten; und Löseschwierigkeit sollte sowieso keine notwendige Bedingung für die Verleihung von Preisen sein. Mir gefällt die Klarheit der Lösung sehr gut. Preisrichter Nicolas Dupont schrieb: “Un contenu d’une pureté cristalline”!
@Bernd, ich stimme dir bezüglich deiner thematischen Bewertung völlig zu! Mir ging es aber um die ästhetischen Fragen in dem Zusammenhang — oder sollte man die bei Thematurnieren ganz in den Hintergrund stellen? Gut, nach dem berühmten Bonmot von Herbert Ahues (“Tomatensuppe soll erst einmal nach Tomaten schmecken”) ist natürlich erst einmal eine klare und gute Themadarstellung wichtig, und das ist hier unzweifelhaft gelungen.
Dennoch gefiele mir ehrlich gesagt das Stück noch besser, wenn der zweite Bauer nicht erst im neunten Zug, sondern beispielsweise bereits im vierten oder fünften aktiv würde. Aber das ist natürlich keine Frage bezüglich des gestellten Themas.