Ich hatte ja beim letzten Retro der Woche versprochen, die zweitplatzierte Aufgabe des phénix-Retroturniers 2005 noch vorzustellen. Dieses Versprechen hatte ich schon längst, wie mir erst diese Woche auffiel, eingelöst: Schaut euch das Retro der Woche 22/2013 an…
Eine wie ich finde sehr elegante Beweispartie aus dem Jahre 1998 habe ich für heute ausgewählt, mir gefällt sie sehr gut, da sie das Thema im Diagramm klasse versteckt, man es dann aber mit einigen Überlegungen herausfindet, um mit diesem Wissen dann die Lösung erarbeiten zu können.
StrateGems 1999 (Version), Lob
Beweispartie in 25,5 Zügen (15+15)
Die beiden einzigen Schläge waren axb durch Weiß und gxf6 durch Schwarz, damit sind die fehlenden Steine erklärt. Nur: Was konnte geschlagen werden? Es fehlen [Ba7] und [Bg2]. Die können, da sie selbst nicht geschlagen haben können, jedoch nicht geschlagen worden sein.
Also müssen sie schlagfrei umgewandelt haben. Damit das aber funktionieren kann, muss zuerst diese Linie freigeschlagen worden sein. Und da beide Seiten alle Offiziere an Bord haben, müssen die Umwandlungen dann in die jeweils geschlagenen Steine erfolgt sein – also wissen wir schon, dass wir einen weißen und einen schwarzen Phoenix in der Partie sehen.
Können wir auch schon herausfinden, welche Offiziere geschlagen und dann ersetzt wurden?
Bei Weiß wäre der „zugökonomischte“ Phoenix Sh6, da er nach der Umwandlung nur noch einen einzigen Zug benötigt. [Sb1] könnte sich dann in drei Zügen auf f6 geopfert haben. Aber auch die weiße Dame könnte genauso zugökonomisch entstanden sein: Zwar braucht De6 von g8 zwei Züge, aber andererseits kann sich die weiße Originaldame in nur zwei Zügen auf f6 geopfert haben. Diese beiden Möglichkeiten werden wir also noch berücksichtigen müssen.
Zählen wir unter Berücksichtigung dieser Überlegungen die weißen Züge: Unter der Annahme des S-Phoenix auf h6 haben wir 2+2+5+4+0+4=17; dazu kommen noch drei Züge des [Sb1] sowie sechs Züge des [Bg2] einschließlich Sh6 – das sind genau 26. Zählen wir nun die weißen Züge unter der Annahme, De6 habe umgewandelt, 2+0+5+4+5+4=20 – plus neun Züge für Opfer und Schlag der Dame. Das kann also nicht funktionieren. Damit wissen wir, dass wSh6 der Phoenis-Springer ist.
Bei Schwarz deutet zunächst alles auf den sTa7 als Phoenix-Stein hin. Aber das kann nicht funktionieren: [Th1] muss, damit Weiß mit den Zügen auskommt, in drei Zügen nach b5 oder b6 gekommen sein. Das geht nur über h3 und b3, also bevor [Ba2] und [Bb2] gezogen haben (wegen der knappen Züge geht nur b4 und axb3). Damit kann sich [Ta8] auch nicht via a6-b6-b3 geopfert haben, da ja zu dem Zeitpunkt schon b4 erfolgt sein muss. Aber über die a-Linie kann er sich auch nicht opfern: Das müsste via a3 passieren, dann müsste also [Ba7] bereist bis a2 gezogen haben. Das kann er aber nicht, da ja noch [Ba2] zu Hause steht.
Es könnte sich [Th8] geopfert haben, aber dann kann der umgewandelte [Ba7] nicht mehr nach h8 gelangen, da zum Umwandlungszeitpunkt die b-Linie schon komplett zugebaut ist und ein Turm auch über die erste Reihe nicht entkommen kann. [Lf8] scheidet wegen falscher Felderfarbe als Schlagobjekt aus, ein Springer könnte a1 nicht verlassen. Damit bleibt also als geopferter Stein auf b3 nur [Dd8]! Damit wird bei Schwarz auch gleichzeitig das Pronkin-Thema dargestellt.
Damit wissen wir aber auch schon, dass [Ke8] und [Lf8] die Originaldame heraus- und die Umwandlungsdame hineingelassen haben müssen.
Mit ein wenig Rangierarbeit im Nordosten und Überlegungen, wann und wie die weißen Steine in ihre Position kommen müssen, sollte die Aufgabe nun nicht mehr so schwer zu lösen sein – wenn ihr das kleine I-Tüpfelchen an Raffinesse im 11. schwarzen entdeckt habt.
1.Sc3 Sf6 2.Se4 Sd5 3.Sf6+ gxf6 4.h4 Lh6 5.Th3 Kf8 6.Tb3 Kg7 7.Tb6 Dg8 8.b4 Kf8 9.Lb2 Dg3 10.Le5 Db3 11.axb3 a6 12.Ta5 Ta7 13.Tab5 a5 14.e3 a4 15.Le2 a3 16.Lh5 a2 17.Dg4 a1=D+ 18.Ke2 Dd4 19.De6 Dg4+ 20.Kd3 Dg8 21.g4 Kg7 22.g5 Dd8 23.g6 Kf8 24.g7+ Ke8 25.g8=S Lf8 26.Sh6.
Ein ganz besonders gründlicher Leser meine Website wird vielleicht meinen, diese Aufgabe hier schon einmal gesehen zu haben? Richtig, ich habe sie als Beispiel für das Phoenix-Thema im Retro-Lexikon.
Man könnte hier vielleicht auch von einem Motiv der “Einkerkerung” (incarceration) der schwarzen Pronkin-Dame sprechen. Ich erinnere mich dunkel, zu diesem Motiv mal einen Aufsatz in der Zeitschrift “Quartz” gelesen zu haben, kann ihn aber gerade nicht finden. Eine schöne Beweispartie!
Hallo nochmal, inzwischen habe ich den Aufsatz wiedergefunden:
Paul Raican, “Retour sur le théme Phoenix-Pronkin avec sarcophage”, in: Quartz 25 (Juli-September 2004), S. 427.