Retro der Woche 36/2018

Heute möchte ich wieder eine schon etwas ältere Beweispartie (20 Jahre) vorstellen, die aus mehreren Gründen bemerkenswert ist.

Michel Caillaud
Probleemblad 1998, 2. Preis ex aequo
Beweispartie in 22,5 Zügen (13+12)

 

Das häufig sehr hilfreiche Zählen der sichtbaren Züge bringt uns hier nicht viel weiter: Bei Weiß sind es 1+0+0+1+0+4=6 Züge, bei Schwarz ein paar mehr, aber auch nicht erschöpfend viele: 4+1+0+0+1+2=8 — plus die eines Umwandlungsläufers. Vielleicht hilft uns ja die Überlegung weiter, wo der entstanden sein könnte?! Nicht auf d1: Dort wäre er nicht weggekommen. Auch nicht auf f1 oder h1: Das würde mindestens vier Schlagfälle erfordern, aber bei Weiß fehlen nur drei Steine.

Also entstand er auf b1.


Egal, ob der Umwandlungsbauer nun [Bb7] oder [Bd7] war: Um nach b1 zu gelangen, erfordert es zwei Schlagfälle; zusammen mit gxXf6 sind damit alle fehlenden weißen Steine erklärt.
Gleichzeitig stellen wir fest, dass der Umwandlungsläufer einschließlich der Bauernzüge mindes-tens neun Züge benötigt, um nach e8 zu kommen. Nach c8 reichten schon acht Züge, das würde aber zwei zusätzliche Züge Lc8-d7-e8 erfordern.
Somit bleiben nur noch fünf schwarze Züge frei – und die werden benötigt für die Schlagmöglich-keiten dxLe3 und gxTh3 (mit anderen potenziellen Schlagopfern würde es länger dauern). Das erfordert zusammen genau fünf Züge, damit sind alle schwarzen Züge erklärt – und wir wissen damit, dass [Sb8] und [Bd7] zu Hause geschlagen worden sind.
Nun können wir versuchen herauszufinden, wo welche der fehlenden weißen Steine geschlagen werden: Das geht in Verbindung mit der schwarzen Umwandlung auf b1 sowie einem weißen Springer auf b8 in drei (Sb8-d7-f6 sowie La3) oder in fünf Zügen (Sb8—a2 und Lc1-b2-f6).
Wenn ihr nun versucht zu lösen, werdet ihr feststellen, dass [Bb7] sofort bis b3 durchziehen muss, und damit scheidet die „kurze“ Schlagvariante aus. Und auch Weiß kommt bald in Zugnot, die er nur mit einem raffinierten und überraschenden Manöver, das man der Stellung wahrlich nicht an-sieht, überwinden kann.
1.Sf3 b5 2.Se5 b4 3.Sxd7 b3 4.Sxb8 Dd6 5.Sa6 Kd7 6.a3 Kc6 7.Sb4+ Kc5 8.Sa2 bxa2 9.a4 axb1=L 10.Ta3 La2 11.Td3 Lc4 12.b3 Kb4 13.Lb2 c5 14.Lf6 gxf6 15.Da1 Lh6 16.Dd4 Le3 17.dxe3 Sh6 18.Td1 Tg8 19.Ta1 Tg3 20.Dd1 Th3 21.gxh3 Lb5 22.Lg2 Le8 23.OO.
Ein sehr überraschendes und elegant schlagfrei realisiertes Rundlauf-Manöver von [Ta1] und [Dd1]

Diese Aufgabe ist aber noch aus einem anderen Grund bemerkenswert: Lässt man „einfach mal“ den letzten Zug weg, so ist sie in 22 Zügen nebenlösig! Man kann also nicht daraus, dass eine Beweispartie korrekt ist, schließen, dass eine abgekürzte Beweispartie ebenfalls korrekt ist. Das kann an Rochaden oder en-passant-Schlägen liegen, die im Anschluss an die „Abkürzung“ noch folgen müssen, sodass Manöver etwa mit König und Rochadeturm wohl in der kurzen, nicht aber in der längeren Beweispartie möglich sind.

Es ist ganz offensichtlich, was da anders gespielt werden könnte: Weiß könnte auf das temposchöpfende doppelte Rundlaufmanöver von [Ta1] und [Dd1] verzichten und stattdessen mit dem [Th1] pendeln.

2 thoughts on “Retro der Woche 36/2018

  1. The two solvers available to me differed very much.
    Natch 3.1 used 48 seconds only to claim C+.
    Euclide 1.01 spent 38 minutes to find the solution, and another 5 minutes to verify uniqueness.

  2. Great! If this is 2nd Prize, then what about 1st Prize (=P1000709) or 3rd Prize (=P0009136)? Personally I should have put them in reverse order, but that may not be the point. I just prefer “strategy” to “task”.

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