In den letzten beiden Retros der Woche (46/2018 und 47/2018) hatten wir ausgezeichnete Aufgaben des Schwalbe-Jahrgangs 2008 betrachtet; heute möchte ich euch den Sieger des Jahrgangs 2009 zeigen.
Dmitri Baibikow ist ein ideenreicher, exzellenter und vielseitiger Komponist und ist amtierender Weltmeister im Komponieren von Retro-Schachproblemen (2013-2015); mit anderen Worten: Er gewann die Retro-Abteilung des 6. WCCI, übrigens vor Silvio Baier und Nicolas Dupont, womit er seinen Titel aus dem Zeitraum 2010-2012 verteidigen konnte.
Das Schwalbe-Turnier 2009 gewann Dmitri mit einem sehr tiefen und ungewöhnlichen Verteidigungsrückzüger, den ich euch zum gründlichen Nachspielen ans Herz lege.
Die Schwalbe 2009, 1. Preis, Mario Richter gewidmet
#1 vor 10 Zügen, VRZ Proca (12+10)
Beide Seiten sind von Retropatt bedroht, alle weißen Steine stehen innerhalb des riesigen Südost-Käfigs und können allein kein Matt geben: Nach einem möglichen sLg2-f1 ist zwar e2 nicht mehr gedeckt, aber dafür das Fluchtfeld f1 entstanden. Weiß braucht daher zusätzliches Material, will also Schwarz zum Entschlagen zwingen.
Geeignet wäre ein Entschlag sLg1:Sf2, denn dann geht das Matt Td1 – aber wie kann man das erreichen? Schließlich wird sich Schwarz mit Händen und Füßen dagegen wehren wollen!
Da fällt einem vielleicht schnell „Pendeln“ ein: Schwarz hat zwei Rücknahmemöglichkeiten, eine gute und eine schlechte, die Weiß das Vorwärtsziel ermöglicht. Also baut Weiß eine Pendelmöglichkeit so auf, dass Schwarz zweimal den für ihn guten Zug zurücknehmen kann, beim dritten Male aber nicht mehr, da dies zu einer dreimal identischen Stellung führen würde, die ja im Retrospiel nicht zulässig ist, da damit ja automatisch remis eingetreten wäre.
Dazu zitiere ich den Preisrichter Wolfgang Dittmann: „… nach dem Schlüssel ergeben sich wie durch ein Wunder zwei Varianten, in denen jeweils ein hochoriginelles Remispendel mit drei (!) Steinen gezeigt wird: sT, wL, wL kreisen auf engstem Raum, d. h. dem kleinstmöglichen Quadrat umeinander, einmal links herum, einmal rechts herum, bis endlich zur Vermeidung einer illegalen Stellungswiederholung der erlösende Zug sLg1:Sf2 erfolgen muss, der dann sowohl das Matt ermöglicht als auch die Auflösung des ganzen Knotens einleitet. Also zweimal ein Drei-Steine-Pendel mit symmetrischem Richtungswechsel im Kreisverkehr des schwarzen Turms. Für Pendeltechniker: Hierbei erscheint die 3. identische Stellung nicht, wie üblich (beim 2×2-Felder-Pendel), nach dem 4., sondern erst nach dem 8. Zug. Außerdem: Entscheidend ist hier nicht, wie sonst, welche Seite der Pendelstarter ist, sondern die Frage, wann Schwarz, der als einziger einen remisvermeidenden Entschlag ausführen kann, zu diesem Entschlag gezwungen ist. Damit wird wiederum ein ganz neuer Aspekt auf dem großen Gebiet der Pendelmechanismen demonstriert. Das Ganze ist mit seinen Drohungen und Verführungen in einer sehr subtilen Retroanalyse verpackt.“
Wir haben hier also den Spezialfall vorliegen, dass Schwarz nicht gezwungen ist, die für ihn schädliche Rücknahme vorzunehmen, um direkte Stellungswiederholung zu vermeiden, sondern – noch subtiler – weil die Stellungswiederholung ansonsten später nicht zu vermeiden wäre.
R 1.c2-c3! (1.Tc2:B/Ld2? Kd1-e1/Kd1:Le1!) und nun verzweigt sich das Spiel schon: 1.– Lg1-f2 2.Lh1-g2 Lf2:Lg1! (2.– Lf2-g1? 3.Lg2:D/Th1! Lg1:Sf2 (erzwungen) 4.Sd1-f2 Lf2-g1 5.Sc3-d1 & v: 1.Td1#. Oder 2.– f2-f1=L? 3.Lg2-h1 & v: 1.Te:e2#) 3.Lg2-h1 Th1-h2 4.Lh2-g1 Tg1-h1 5.Lh1-g2 Tg2-g1 6.Lg1-h2 Th2-g2 7.Lg2-h1 Th1-h2 8.Lh2-g1 Lg1:Sf2 (erzwungen, da 8.– Tg1-h1?? unvermeidlich zur dritten identischen Stellung führen würde: 9.Lh1-g2 Tg2-g1 10.Lg1-h2 Th2-g2??) 9.Sd1-f2 Lf2-g1 10.Sc3-d1 & v: 1.Td1#.
1.– Th1:Lh2! 2.Lg1-h2 Th2-h1 (also umgekehrte Richtung) 3.Lh1-g2 Tg2-h2 4.Lh2-g1 Tg1-g2 5.Lg2-h1 Th1-g1 6.Lg1-h2 Th2-h1 7.Lh1-g2 Tg2-h2 8.Lh2-g1 Lg1:Sf2 (erzwungen, da 8.– Tg1-g2?? 9.Lg2-h1 Th1-g1?? Illegal wäre wegen dritter identischer Stellung) 9.Sd1-f2 10.Sc3-d1 & v: 1.Td1#.
Vielleicht habt ihr noch Zweifel, ob die Stellung nach R 10.Sc3—d1 überhaupt legal ist? Hier eine mögliche weitere Rücknahme: R: 10.– Tg1-h1 11.Lh1-g2 Tg2-g1 12.Sb5:Bc3 Lg1-f2 13.Sc7-b5 f2-f1=L 14.Sa8-c7 Kf1:Le1! (Originalläufer!) 15.Td1-d2 c4-c3 16.Ta1-d1 c5-c4 17.Ta2-a1 c6-c5 (c7-c5 wäre illegal!) 18.Ld2-e1 Ke1-f1 19.Lc1-d2+ K~-e1 20.d2-d3 usw.
“Natürlich“ hat dieses großartige Stück seinen Weg ins FIDE-Album gefunden; überraschend für mich ist nur die sehr heterogene Punktvergabe von 4+2+3, also von „Muss unter allen Umständen ins Album“ bis „Kann ins Album“. Ihr habt sicher gemerkt, in welche Richtung der Punktvergabe ich tendiert hätte?
Henrik, to answer your last question, you can check H059 (14th= place) and H066 (8th= place) from the 10th WCCT 2016-2017.
Thanks for advising me, Kostas.
I should have studied the WCCT award more closely, before making my ‘funny’ remark.
Two proof games in the top 15 is remarkable for a relative newcomer.
It is particularly impressive that the third repetitions never materialize; Black is forced to help earlier, because he will not get the opportunity to avoid a third repetition later.
Dmitri is a very versatile and talented retro composer: long exact retroplays in resolution retros, illegal clusters, etc., and now a complicated defensive retractor. You may wonder what happens, when he discovers proof games…