Retro der Woche 23/2019

Heute möchte ich euch einen besonderen Verteidigungsrückzüger (VRZ) vorstellen und dabei mit euch einen Blick über den Zaun werfen: Natürlich gibt es die Übertragung verschiedener Themen aus „Vorwärts-Problemen“ in den VRZ schon lange und vielfach. Die Übertragung moderner, zyklischer Zweizügerthematik in den VRZ dürfte hingegen neu sein – zumindest, wenn dabei auch retroanalytische Überlegungen eine gewichtige Rolle spielen.

Joaquim Crusats
Problemas 2018
-2 & #1, VRZ Proca (15+9)

 

Beginnen wir wie üblich mit den Schlagbilanzen: Bei Weiß fehlt ein Turm, und der wurde auf der b-Linie geschlagen – ob nun vom [Ba7] oder vom [Bc7], wissen wir nicht.

Weiß hat selbst sieben Bauernschläge durchgeführt, nämlich einerseits axb, und andererseits haben die beiden Doppelbauern auf der e- und der h-Linie insgesamt sechsmal geschlagen: sie kommen von c2 und d2.

Damit sind alle fehlenden Steine erklärt.

Aber wie kann Weiß vor zwei Zügen Matt gegeben haben, was kann er drohen?

Gar nichts; Weiß spielt auf Zugzwang!

Schnell sehen wir, dass nach einem Entschlag des fehlenden weißen Turms auf b4 der schwarze Springer auf c4 retro-gefesselt ist: Weiß hat keine Möglichkeit, nach einem Wegzug des Springers das Schach dieses Turms gegen den schwarzen König aufzuheben: wKe4-f5+ kann nicht zurückgenommen werden, da Schwarz dann das Schach gegen den weißen König nicht aufheben kann, denn sBd5 kann ja nicht geschlagen haben.

Nehmen wir nun einmal R 1.Ta6-b6 zurück, so haben wir auf die Rücknahme von Ba5xTb4 den Wartezug 2.Sc1-a2 – und nun war der letzte schwarze Zug “offensichtlich” g7-g5: Schwarz hat keinen anderen Bauern-Rückzug, die Retro-Fesselung des sSc4 schlägt zu, und auch sSh1 und sKh4 können offensichtlich nicht zuletzt gezogen haben. Also kann Weiß vorwärts mit 1.hxg6ep# das Matt erreichen.

Nimmt Schwarz hingegen Bc5xTb4 zurück, so nimmt ihm Weiß mit 2.Tc6-a6 auch wieder die Möglichkeit, einen Bauernzug zurückzunehmen – wieder war g7-g5 der letzte schwarze Zug, wieder gefolgt von 1.hxg6ep#. Nimmt Schwarz hingegen sofort g7-g5 zurück, kommt Weiß nach 2.Dg6-h6 & vor: 1.Dg4# zum Ziel.

Allerdings, und deshalb war R 1.Ta6-b6 die Verführung, kann Schwarz S~-c4 zurücknehmen, und Weiß kommt nicht weiter.

Ist es sinnvoll, nun R 1.Tc6-b6 zu versuchen? Könnte damit Weiß auf eine beliebige Rücknahme durch sSc4 zum Ziel kommen – und was würde sich bezüglich der Entschläge des wTb4 ändern?

Lösung
R 1.Tc6-b6 (Zugzwang) 1.– Ba5xTb4 2.Ta6-c6 & v: 1.hxg6ep#
1.– Bc5xTb4 2.Sc1-a2 & v: 1.hxg6ep#
1.– g7-g5 2. Dg6-h6 & v: 1.Dg4#
1.– S~-c4 2.Tc1-c6 & Txh1#.

Das ist die Darstellung des sogenannten Kiss-Themas (die Erstdarstellung stammt aus dem Jahr 1984, siehe P1041054) im Vorwärts-Zweizüger: Dort zyklische Verschiebung der Schlüsselzüge und Matts in mindestens zwei Varianten; das bedeutet auf den VRZ übertragen eine entsprechende Verschiebung der ersten und zweiten Rücknahmezüge.

Schreiben wie das noch einmal wie im heutigen Zweizüger üblich „mit Buchstaben“ auf:

R 1.Ta6-b6? (A) a5xTb4/c5xTb4 2.Sc1-a2 (B)/Tc6-a6 (C)
R 1.Tc6-b6! (C) a5xTb4/c5xTb4 2.Ta6-c6 (A)/Sc1-a2 (B)

Auch modern Zweizüger-Thematik lässt sich im Verteidigungsrückzüger mit echten retroanalytischen Ideen verbinden – wer hätte das gedacht?

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