Heute hat in Vilnius als Generalprobe zur Löseweltmeisterschaft (am 20. und 21. August) das offene Lösungsturnier stattgefunden.
Gewonnen hat Piotr Murdzia aus Polen vor John Nunn aus Großbritannien. Dritter wurde dann schon Michael Pfannkuche, und Boris Tummes belegte nur aufgrund der etwas schlechteren Zeit Platz fünf hinter Martynas Limontas aus Litauen. Arno Zude landete knapp unterhalb seiner Rating-Erwartung auf Platz 26-27.
Das lässt für das WCCI wieder auf eine gute Platzierung der deutschen Löser hoffen!
Bleiben wir noch ein wenig beim neuen FIDE-Album: Gerade die Lösungen vieler klassischer Retros sind dort nur relativ knapp gehalten -– auch bei fast 700 Seiten gibt es halt irgendwann einmal Platzprobleme…
Aus dem Schwalbe-2015 Jahrgang haben einige Stücke den Weg ins Album gefunden (zum Beispiel das Retro der Woche 33/2019), und auch das heutige Stück stammt aus diesem Jahrgang.
Michel Caillaud Die Schwalbe 2015 Löse auf!(13+14)
Das Schachgebot gegen den schwarzen König kann nur durch f2xXg3+ entstanden sein. Bei Schwarz fehlen Turm und Dame, daher muss X=Turm sein, denn die schwarze Dame kann nicht auf g3 gestanden haben: Schwarz hat alle drei fehlenden weißen Steine ([Ba2], schwarzfeldriger Läufer und Springer) mit seinen Bauern geschlagen (axbxc und exd), somit wäre ein Schachgebot der schwarzen Dame auf g3 nicht zu erklären.
Neben f2xTg3+ sehen wir dann auch sofort g5xDf6 — das kann erst zurückgenommen werden, wenn sBg2 wieder mindestens auf g6 steht.
Die schwarzen Schlagfälle können einen direkten Schlag des [Ba2] nicht erklären, der muss sich also (schlagfrei) auf a8 umgewandelt haben.
Nun erkennen wir auch, wie der riesige Ost-Käfig nur aufgelöst werden kann:
Übermorgen, am Samstag, dem 17. August, beginnt dar 62. World Congress of Chess CompositionWCCC in Vilnius. Allen Teilnehmern wünsche ich eine gute Anreise und eine angenehme, erfolgreiche Tagung!
Das Programm enthält neben vielen anderen Punkten auch die offene Lösungsturnier am Montag sowie die 43. Weltmeisterschaft im Lösen von Schachproblemen (WCSC) am Dienstag und Mittwoch; ferner gibt es eine Menge weiterer Veranstaltungen.
Über die Turniere werde ich hier selbstverständlich zeitnah berichten!
Von den 83 Retros im neuen FIDE-Album hatten zwei die „Höchstnote“ von 12 Punkten erreicht: Das eine stammt von Dmitrij Bajbikov (Retro der Woche 27/2016) und war schon über das WCCI ins Album gekommen, das zweite von Nicolas Dupont und Silvio Baier. Diese Aufgabe hatte ich, auch welchen Gründen auch immer, euch hier noch nicht vorgestellt. Das soll, muss natürlich nachgeholt werden!
Nicolas Dupont & Silvio Baier Die Schwalbe 2015 (M. Caillaud gewidmet) Beweispartie in 34 Zügen (11+12)
Sofort fällt der Damenflügel auf: Schwarz verfügt über alle Offiziere der Partieausgangsstellung, aber die weißen Trippelbauern auf der a-Linie können keinen schwarzen Bauern [Ba7]-[Bc7] geschlagen haben. Ähnlich schaut es mit den schwarzen Bauern auf a6 und b6 aus, allerdings fehlt bei Weiß ein Springer. So müssen wir aber auch von mindestens einer weißen Umwandlung ausgehen.
Gestern kam bei mir das FIDE-Album 2013-2015 an: Mit exakt 1499 Aufgaben ist es so umfangreich wie noch keines der Drei-Jahres-Alben (die retrospektiven Alben 1914-1944 sowie 1945-1955 waren noch dicker), und auch die Retro-Abteilung ist mit 83 Aufgaben gut vertreten.
Die meisten Retros stammen von Silvio Baier, Michel Caillaud und Andrej Frolkin (13, 12 bzw. 11); das ist nicht identisch mit den Album-Punkten, da natürlich auch Gemeinschaftsaufgaben dabei sind.
27 der Retros stammen aus der Schwalbe, neun aus feenschach sowie vier weitere aus gemeinsamen Dittmann-Thematurnieren der Schwalbe und von feenschach (wobei allerdings bei den Quellen etwas durcheinander gegangen ist: Da sind „Dittmann-Gedenkturnier“ und “Dittmann-70-Jubiläumsturnier” vertauscht). Und vier Aufgaben wurden auch hier im Blog „urgedruckt“.
Natürlich über die Retroabteilung hinaus wieder eine extrem lesens- und schmökerwerte Anthologie, die ich jedem nur empfehlen kann!
In der letzten Woche hatte ich kurz das Stichwort „Autoren-Lösen“ angesprochen, und da möchte ich heute anhand eines Beispiels näher drauf eingehen.
Wenn ich eine Aufgabe von Tom Volet aus New York sehe, schaue ich sofort nach Möglichkeiten für Schachschutz: Das ist ein besonders beliebtes Thema von ihm, das er in immer neuen Variationen zu bearbeiten vermag.
Thomas Volet Phénix 2005 Löse auf! (14+12)
Betrachten wir zunächst aber die Schlagbilanz: Die beiden fehlenden weißen Türme wurden auf c6 und h6 von schwarzen Bauern geschlagen.
Bei Weiß sehen wir vier Schlagfälle: cxb, zweimal bxa sowie f5xe6; damit sind auch die fehlenden schwarzen Steine (Dame, zwei Springer sowie [Bf7]) erklärt. Der fehlende schwarze Bauer konnte nicht direkt geschlagen werden, er muss sich also schlagfrei auf f1 umgewandelt haben.
Auffällig ist auch, dass kein König im Schach steht und trotzdem offen gelassen ist, wer mit der Rücknahme beginnen muss.
Allerdings sehen wir bei genauerem Hinschauen, dass Schwarz im Diagramm nur die Rücknahmemöglichkeit g7xTh6 hat, und danach wäre er endgültig retropatt.
In den letzten Tagen hat es zwei Updates für Programme zur Prüfung (auch) von Retros bzw. Beweispartien gegeben:
Teddy in der Version 1.9.0, das Frontend für Prüfprogramme, unterstützt nun auch Euclide und damit die wesentlichen Testhilfen für uns Retro-Freunde: neben Euclide nämlich Natch, Jacobi und Popeye.
Von Popeye ist die Version 4.83 erschienen; es ist hauptsächlich ein Bug-Fix-Release, enthält aber auch zwei neu unterstützte Bedingungen.
Am Dienstagabend erhielt ich eine ziemlich überraschenden Mail: Ein Mitarbeiter des Bundeswettbewerb Informatik (getragen von der Gesellschaft für Informatik, Fraunhofer IUK-Technologie und dem Max-Planck-Institut Informatik, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung) machte mich auf die dritte Aufgabe der zweiten Runde des 37. Bundeswettbewerb Informatik 2018/2019 aufmerksam.
In der waren die Endspiele König und drei Springer gegen König zu untersuchen: “Schreibe ein Programm, das für eine gegebene Stellung und ein Zielfeld feststellt, ob Weiß erzwingen kann, dass der schwarze König auf diesem Zielfeld matt gesetzt wird. … Zudem ist folgendes Schachproblem zu lösen: Der schwarze König steht in der obersten Reihe des Spielbretts und die weißen Figuren in der untersten Reihe. Für welche Felder kann Weiß erzwingen, dass der schwarze König dort matt gesetzt wird? Dieses Schachproblem ist noch offen! Es ist nur bekannt, dass es für die Eckfelder des Spielbretts möglich ist.”
Und hier gab es wirklich Neues: Das Matt kann nicht nur auf den Eckfeldern, sondern auf allen Randfeldern erzwungen werden. Hier findet ihr die genaue Aufgabenstellung sowie die Lösungshinweise.
Ein sicher interessantes “akademisches ” Ergebnis; besonders interessant ist aber die generelle “retroanalytische” Herangehensweise durch Zurückspielen von der Mattstellung. Dieser generelle Ansatz ist natürlich nicht neu; mit dem hatte bereits D. Relp (Pseudonym für Helmut Mertes) sein “Verzeichnis aller Hilfsmatt-Aufgaben mit dem Material KS-KS” erstellt, das er 1975 bei Peter Kniest in Wegberg veröffentlichte. Das Verfahren ist für direkte Mattforderungen allerdings komplizierter als beim Hilfsmatt, da sich Schwarz ja wehren kann, und so gibt es auch Stellungen (siehe etwa Beispiel 5), in denen der weiße Sieg unmöglich ist, da Schwarz den Schlag eines der weißen Springer erzwingen kann.
Übrigens: Auch die beiden anderen Aufgaben sind sehr interessant und für Informatik-affine Leser höchst empfehlenswert!
Zwei Verifikations-Beispiele aus dem Wettbewerb:
Beispiel 3
Beispiel 5
Nachtrag 11.08.2019:
Hier die von Joost (herzlichen Dank!) im Kommentar angegebene Studie von Herbstmann und Kubbel.