Retro der Woche 09/2020

Schaut man einmal in die Retro-Abteilung des FIDE-Albums 1986-1988, des ersten mit dem bekannten blauen Einband, des ersten vom Team ellinghoven/Blondel produzierten Albums, so bemerkt man, dass von den 32 Retros nur vier (!) orthodoxe Beweispartien sind –- das war die Zeit, als die Beweispartien noch nicht die dominante Rolle spielten wie ab den 1990er Jahren.

Eine dieser vier Aufgaben stammt vom damals erst 22jährigen „Nachwuchstalent“ Kostas Prentos, der heute ein hochgeschätzter Komponist und Preisrichter sowie mein Kollege als Retro-Sachbearbeiter bei StrateGems ist.

Kostas Prentos
feenschach 1988, ehrende Erwähnung
Beweispartie in 18 Zügen (14+13)

 

Sicherlich fällt sofort der weiße König auf, der sich ins schwarze Lager vorgekämpft hat, um dort mattgesetzt zu werden.

Zählen wir die sichtbaren weißen Züge, so kommen wir nur auf 8+0+1+2+1+1=13 – es sind also noch fünf Züge frei. Das ist eine ganze Menge, aber wenn wir etwas genauer hinschauen, erkennen wir die sehr schnell:

Der letzte Zug muss Th8xXg8# gewesen sein, also muss ein weißer Stein nach g8 gezogen haben, ferner muss sich der andere fehlende weiße Stein auf c6 geopfert haben. Das kann in fünf Zügen nur mittelsBc2-c4-c5-c6 sowie Dd1-b3-g8 geschehen sein – und damit sind alle weißen Züge prinzipiell (der Weg des wK ist natürlich jetzt noch nicht determiniert) erklärt.

Bei Schwarz ist die Sache komplizierter: Dort sehen wir 1+0+1+3+3+1=9 Züge – also sind noch neun Züge frei. Hierbei habe ich die lange Rochade bei Schwarz eingerechnet. Bei Schwarz fehlen [Dd8], [Be7] und [Bf7], die allesamt nicht zuhause geschlagen worden sein können (Zumindest die schwarzen Bauern kann nur der weiße König geschlagen haben!), die also auch zumindest einmal gezogen haben müssen. Trotzdem bleiben auch dann noch sechs schwarze Züge frei!

Zu vermuten ist, dass diese Züge „irgendwie“ benötigt werden, um den weißen König ungehindert durch die schwarzen Reihen bis nach f8 wandern zu lassen. Un dazu muss sich Schwarz irgendetwas einfallen lassen, damit gerade die Leichtfiguren Seine Majestät nicht stören.

Mit diesen Vorüberlegungen werdet ihr euch nun sicherlich an eure eigenen Löseversuche machen?!

Lösung

Sehr schön finde ich die beiden „indischen“ Manöver der Läufer (Überschreitung des Schnittpunktes, der dann verstellt und wieder freigegeben wird wird), wobei das zwischenzeitliche Zielfeld des [Lf8] sehr geschickt determiniert ist. Und auch auf die Rückkehr des sTd8 haben wahrscheinlich nicht alle sofort getippt, als sie den ersten Blick aufs Diagramm geworfen hatten?

Ich persönlich mag solche strategisch angelegten Beweispartien sehr gern: Das müssen für mich nicht immer „Umwandlungs-Orgien“ sein. Und wie schaut das bei euch aus? Auf eure Kommentare bin ich gespannt!

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