Kürzlich ist der Preisbericht der feenschach-Retro-Urdrucke des Jahres 2016 erschienen; Preisrichter Thierry Le Gleuher vergab nur einen einzigen Preis — und dieses Stück ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.
feenschach 2016, Preis
Beweispartie in 20,5 Zügen (13+12)
Sofort fallen in dieser eigentlich recht kurzen Beweispartie im Diagramm gleich drei Umwandlungssteine auf: eine schwarze Dame sowie ein weißer Turm und Läufer, wobei die beiden weißen auch noch auf ihren potenziellen Umwandlungsfeldern stehen.
Versuchen wir, die Züge zu zählen, dabei lassen wir die beiden weißen Steine auf der 8. Reihe einfach aus und bewerten sie mit 10 Zügen für die beiden Umwandlungen. Darüber hinaus sehen wir 2+1+2+0+0+1=6 — mit den „zehn im Sinn“ bleiben noch fünf weiße Züge frei: Das ist eine Menge!
Setzen wir bei Schwarz die Rochade voraus und gehen davon aus, dass sDb2 umgewandelt hat, so sehen wir 2+8+1+0+5+2=18 Züge – „nur“ zwei Züge sind hier frei.
Da die Bauernstruktur keine direkten Hinweise auf Schläge gibt, müssen wir nun nach anderen Stellungsmerkmalen Ausschau halten, die uns der Lösung näherbringen.
Da fällt dann sicher schnell der [Lc8] auf, der zuhause geschlagen werden musste. Dafür kommt in den noch offenen fünf weißen Zügen nur Th8 in Frage: Umwamdlung, TxLc8-g8-h8+. Das erfordert drei zusätzliche Züge — und verhindert gleichzeitig die naheliegende Turm-Umwandlung im 21. weißen Zug.
Dass dies funktioniert, erfordert, dass c8-g8 frei sind, dort also wLf8 noch nicht stehen kann, aber auch kein schwarzer Stein, der für eine Umwandlung auf f8 erforderlich wäre.
Das bringt uns vielleicht auf eine Idee: Wenn schon wTh8 nicht auf h8 umgewandelt haben kann (das wäre immer mit Schachgebot gegen den sK verbunden), dann ist vielleicht auch wLf8 gar nicht dort entstanden? Dann aber muss er auf h8 (schwarzes Feld!) umgewandelt haben, und damit wären auch die beiden noch freien weißen Züge erklärt — und wo ist dann der weiße Turm entstanden?
Wenn ihr nun eine Idee habt, dann versucht doch, die Lösung zu finden. Und dann fällt euch viel-leicht auch etwas zu [Lf8] und [Th8] auf?
Der Preisrichter schrieb dazu: „Der sL und sT tauschen Plätze, bevor sie geschlagen werden, um die Umwandlungen in den wL und den wT zu ermöglichen! Der wUW-L und der wUW-T tauschen schließlich auch aus technischen Gründen ihre Plätze … Sehr schwer zu lösen. Bedauernswert sind die drei Umwandlungsfiguren im Diagramm, die sicher für die Realisierung der Idee notwendig sind. Ganz klar das beste Problem des Turniers. Die Platzwechsel des Läufers und des Turms sind sehr gut herbeigeführt und wirklich schwer zu finden. Ein schönes, originelles Problem!“
Wobei mich höchstens der technische Umwandlungsstein sDb2 ein wenig stört; die thematischen auf h8 und f8 natürlich nicht! Und z.B. Ta1 und Lc1 noch herauszuoperieren, wäre sicher nicht so einfach – ansonsten hätte Andrej das bestimmt noch getan… Ach ja, habt ihr die beiden noch offenen schwarzen Züge gefunden?
This interesting proof game is C+ by Natch 3.1 (43 minutes).
Eine tolle Beweispartie mit hochparadoxem Inhalt. Es ist wirklich toll, dass das gelungen ist und definitiv preiswürdig. Auch mich stört die schwarze Umwandlungsdame ein wenig, aber auch nur ein wenig. Warum allerdings thematische Umwandlungssteine vom PR kritisiert werden (bzw. dass nicht nur das Partiesatzmaterial in der Schlusstellung auf dem Brett steht), erschließt sich mir nur schwer. Das immer wieder aufgeführte Argument, dass damit offensichtliche Spuren im Diagramm sichtbar sind, halte ich zwar nicht für völlig abwegig, allerdings auch nicht für sehr überzeugend, denn auch ohne sind die Spuren meistens offensichtlich. Irgendwelche Begründungen muss sich der Autor ausdenken, um eine korrekte Zugfolge auf das Brett zu bringen. Ich halte es da eher mit der zeitlichen Ökonomie. Ein gutes Beispiel ist https://www.thbrand.de/2020/05/17/retro-der-woche-212020/. Wäre die Aufgabe besser, wenn die Türme und Springer auf der weißen Grundreihe fehlen würden und dabei viele Züge mehr geschehen wären (wobei das sicher sowieso nicht geht)? Als positiv empfinde ich, dass das Thierry nicht von einer Preisvergabe für Andrejs Aufgabe abgehalten hat.