Heute möchte ich euch wiederum ein klassisches Retro vorstellen — im Gegensatz zum Retro der Woche 42/2020 allerdings aus schon beinahe klassischer Zeit. Ein bedeutender Komponist solcher klassischer Auflöseaufgaben war der Ukrainer Alexander Kisljak (27.12.1938—5.5.2010), von dem ich hier schon verschiedene Aufgaben vorgestellt habe: Die Suchfunktion ist dein Freund!
Das folgende Stück erhielt beim Informalturnier der sehr angesehenen Zeitschrift Schachmati w SSSR vor 35 Jahren den ersten Preis und kam dann auch mit 10 Punkten ins FIDE-Album.
Schachmati w SSSR 1985, 1. Preis
Matt? (14+11)
Beginnen wir gleich mit den Standard-Betrachtungen einer solchen Stellung, bei der natürlich nicht erwartet wird, dass man einfach mit „ja!“ oder „nein!“ löst: Natürlich geht es um die Auflösung der Stellung — und heute würde man vielleicht einfach nach den, wie wir sehen werden, letzten 35 Einzelzügen fragen.
Zwei weiße Bauernschläge sind sichtbar: axb sowie d2xc3 — dieser Zug muss zurückgenommen werden, um den Knoten im Norden auflösen zu können, denn dafür muss sKc4 wegziehen können, um im Endeffekt den wK einen Zug zurücknehmen lassen zu können. Ferner wurde offensichtlich [Lc8] zuhause geschlagen; damit sind noch zwei Schläge durch Weiß offen.
Bei Schwarz ist nur cxb sichtbar — andererseits fehlen bei Weiß [Bg2] und [Bh2], sodass mindestens einer dieser Bauern umgewandelt hat, der dabei auch mindestens einmal geschlagen haben muss – nur noch ein Schlag ist frei.
Nun wollen wir uns anschauen, welche Steine denn eigentlich nach dem offensichtlichen R 1.Sb5-a3# (mit oder ohne Schlag?) Züge zurücknehmen können?
Bei Weiß haben wir hierfür zunächst nur den wBe6, anschließend kann etwa die wDe7 befreit werden durch Te7-e8+. Fast noch wichtiger ist aber, den wLc7 frei zu bekommen, damit er nach c1 zurückgespielt werden kann, um abschließend mit der Rücknahme von d2xc3 die Stellung für den sK zu öffnen.
Letzteres ließe sich prima erreichen, wenn Weiß bei seinem Mattzug einen Turm entschlagen könnte: R 1.Sb5xTa3# Ta1-a3 2.e5-e6 Tg1-a1 3.e4-e5 Tg5-g1 4.e3-e4 Tc5-g5 5.Lb6-c7 Tc7-c5+. Aber das geht nicht, da ja noch der fehlende [Be7] entschlagen werden muss: Der kann sich nur nirgendwo umgewandelt haben.
Also müssen wir die wD nutzen, um sich zu entwandeln und dann auf ihrem Rückweg den schwarzen Turm zu entschlagen, den wir für die Befreiung des [Lc1] benötigen. Also muss die Dame auf e7 vom sTd8 abgelöst werden — und dann muss Weiß auf mögliches schwarzes Retropatt aufpassen.
Mit diesen Überlegungen sollte es nicht mehr allzu schwierig sein, die Lösung zu finden?!
Ganz besonders gefällt mir an der Aufgabe die Retrobahnnung des wBe6 für die wDe7 und dann die Ablösung durch [Be7] (Fachbegriff „Phasentransformation“), und die Verführung ist auch nicht so „ohne“, gerade weil sie thematisch ist und die Widerlegung rein retroanalytisch erfolgt.
Thanks for bringing this fine retro to our attention, Thomas.
I have seen it before, but it is certainly worth studying again.