Retro der Woche 47/2021

In den letzten Wochen hatten wir uns hier hauptsächlich mit ganz neuen, ziemlich frisch veröffentlichten Stücken beschäftigt — vielleicht ein guter Grund, mal wieder in die Geschichte der Retroanalyse zu schauen.

Alexei Alexejewitsch Troizki (* 14. März 1866 in Sankt Petersburg; † 14. August 1942 in Leningrad während der Blockade durch deutsche Truppen) ist hauptsächlich als Studienkomponist bekannt — manche bezeichnen ihn als den Begründer des modernen Studienschachs. Ihn kennen auch vielen Partiespielern wegen seiner erschöpfenden Analyse des Endspiels „Zwei Springer gegen einen Bauern“. Die Endspieldatenbanken fast hundert Jahre später bestätigten eindrucksvoll die Präzision seiner Untersuchungen.

Troizki hat aber auch einige hervorragende Retros gebaut; eines davon möchte ich heute zeigen. Es erschien im Jahr 1915 in dem berühmten Buch Retrograde Analysis von Thomas R. Dawson und Wolfgang Hundsdorfer in der White’schen Christmas-Serie. Dieses Buch und die Autoren hatte ich anlässlich seines hundertsten Geburtstag in der Schwalbe vorgestellt.

Alexei Troitzki
Retrograde Analysis 1915
Weiß zieht und gewinnt (11+12)

 

Das ist sicher nicht schwer zu lösen, und wer das ganz allein schaffen möchte, ohne meine Überlegungen zur Stellung, der möge nun einfach den folgenden Text noch nicht ausklappen!

Die fünf fehlenden weißen Steine werden durch [Bd7] (nun auf c6; ein Schlag) und [Be7] (nun auf a3; vier Schläge) erklärt. Damit sind auch zugleich die vier fehlenden schwarzen Steine erklärt: Die schwarzen Bauern auf dem Königsflügel hatten kein weißes Schlagobjekt zur Verfügung. einer der beiden weißen Bauern auf der h-Linie kommt offenbar von f2, und der andere ist der originale h-Bauer, der um sein schwarzes Gegenüber herum schlagen musste.

Weiß kann die Stellung im Westen nicht mit b2/3-b4 auflösen, da vorher ein weißer Turm auf die erste Reihe gelangen muss. andererseits kann Schwarz noch nicht d7xXc6 zurücknehmen; dies würde [Lc8] von seinem Anfangsfeld aussperren.

Also bleiben Weiß nur vier Bauernzug-Rücknahmen: [Bh2] darf noch nicht nach h2 oder h3 zurückgezogen werden, da dies [Th1] aussperren würde.

Deshalb muss Schwarz, der ja wegen der Vorwärtsforderung mit der Rücknahme beginnt, schnell d7xXc6 vorbereiten, was die Stellung leicht auflöst. Aber dazu müssen [Ta8] und [Lc8] vorher nach Hause!

Beide muss Weiß also entschlagen (sTc1 nach a8 würde viel zu lange dauern), Und damit könnt ihr nun auch das Lösen versuchen!!?

Lösung

R: 1. g7-g5 g5xTh6 2. Td6-h6 g4-g5 3. Td8-d6 f3xLg4 4. O-O-O f2-f3 5. Lc8-g4 Kb5-a5 6. d7xTc6+ etc.
Letzter Zug war g7-g5, und Weiß gewinnt mit dem En-Passant Schlag 1.h5xg6e.p. !


Im Rückspiel wird g6-g5 hübsch durch die Notwendigkeit, die sechste Reihe frei zu halten, verhindert, sodass der elegante Vorwärts-Schlüssel ermöglicht wird. Und damit ist Troitzki dann in seinem eigentlichen Element …

Natürlich ist die Aufgabe längst nicht so komplex wie heutige „Preis-würdige“ Auflöse-Stücke, aber die Eleganz des Stücks gefällt mir heute noch. Und dann solltet ihr noch einmal genau hinschauen, wieso der vierte schwarze Rücknahmezug eindeutig ist?

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