In der letzten Woche hatte ich bereits angekündigt, hier die beiden anderen ersten Preise der insgesamt drei Gruppen des Schwalbe 2020 Retro-Informalturniers vorstellen zu wollen. Heute ist der Sieger des Beweispartien-Wettbewerbs an der Reihe; allein schon die beiden Autorennamen versprechen eine inhaltsschwere Aufgabe.
Die Schwalbe 2020, 1. Preis
Beweispartie in 29,5 Zügen (14+14)
Beim Blick aufs Diagramm entdeckt man schnell zwei weißfeldrige schwarze Läufer. Dieser erklärt den fehlenden schwarzen Bauern, der sich umgewandelt haben muss. Das kann nur der [Bg7] gewesen sein, der auf seinem Weg auf ein weißes Umwandlungsfeld einmal geschlagen haben muss.
Und sein Schlagopfer muss [Bh2] gewesen sein: Der kann wegen der Schlagbilanz nicht auf f6 geschlagen worden sein, und damit sind schon die beiden schwarzen Schläge erklärt. Bei Weiß muss dann auch noch der [Bb2] verschwinden. Direkt kann er nicht geschlagen worden sein, also muss er sich umgewandelt haben, um sich dann auf f6 zu opfern oder das weiße f6-Opfer zu ersetzen.
Diese Umwandlung kann nur auf a8 erfolgt sein, und auf dem Weg dorthin muss er den [Lf8] geschlagen haben; der fehlende schwarze Turm musste auf f3 sterben: Wegen der Felderfarbe kann das nicht das Schlagfeld des [Lf8] sein.
Versuchen wir, einmal die schwarzen Züge zu zählen: 1+2+6+13+3+4=29 – damit sind alle schwarzen Züge bereits erklärt! Doch die einzelnen Summanden müssen ein wenig erklärt werden: Schwarz hat lang rochiert; beide Türme brauchten je drei Züge nach a3 bzw. f3. Bei den schwarzen Läufern haben wir zwei Züge c8>e4 und f8>a7; zusätzlich mit den Bauernzügen neun für Ld1, von h1 kommend.
Nun können wir auch überlegen, wer auf a8 entstanden ist: Wir wissen, dass Schwarz lang rochiert hat, erst anschließend kann die Umwandlung erfolgt sein, da sonst der Turm im Weg gestanden hätte. Der schwarze König kann anschließend nicht mehr gezogen haben, wie wir eben gesehen haben, also scheidet eine Umwandlung in einen Springer aus, der nur schachbietend via b6 dem Nordwesten hätte entfliehen können. Ein Läufer scheidet aus, da der zweite weißfeldrige Läufer nicht hätte verschwinden können, ein Turm hätte dem Käfig überhaupt nicht entfliehen können: b6 musste, um [Lc8] herauszulassen, schon vor der Rochade, damit erst recht vor der Umwandlung erfolgen!
Also bleibt nur eine Damenumwandlung; die neu erstandene kann dann via a6 nach b5 entkommen. Abr dafür brauchen wir (für Da8 und für Da6) zwei Mal Schachschutz. Der kann nicht von schwarzen Figuren gewährt werden, da bei Schwarz keine Züge dafür frei wären.
Wer kommt dafür nur in Frage? Wenn ihr den Stein oder zumindest die Steinart identifiziert habt (das sollte leicht sein), dann kennt ihr auch schon das Thema der Aufgabe: Ein langer, schlagfreier Rundlauf!
Vielleicht mögt ihr nach diesen Vorüberlegungen versuchen, selbst zu lösen? Das lohnt sich wirklich, es zumindest zu probieren!
Für dieses Thema, für diesen Kraftakt haben dann auch die beiden Großmeister einen unthematischen Umwandlungsstein in Kauf genommen – und das hat der Preisrichter Paul Rãican auch akzeptiert. Wer sich daran stört, möge es „ohne“ versuchen; das Ergebnis würde sicher gern gesehen und bewundert.
Incredible content: 14 moves by [Sb1] to screen against checks by promoted white queen on b8 and b7, and returning to b1. There is some backtracking in the circuit, and the obvious promoted black bishop is unfortunate, but probably necessary.
In der Tat eine ganz tolle Aufgabe, die meiner Ansicht nach mit zweistelliger Punktezahl ins Album gehört. Das Thema ZWEImaliger Schachschutz einer Figur für eine andere ist ganz selten oder war vorher noch gar nicht in einer BP da. Sie eignet sich perfekt für einen solchen langen schlagfreien Rundlauf. Bei diesem beeindruckt natürlich der verwinkelte eindeutige Weg. Die Schwierigkeit bei der Konstruktion besteht im Wesentlichen bei Schwarz – nämlich in der Kombination aus Blockade anderer Springerwege plus der Erfordernis, hintenraus eindeutige Züge zu machen. Insofern lässt sich ein offensichtlicher Umwandlungsstein wohl nur schwer vermeiden, wenngleich Ceriani-Frolkin nicht ganz ausgeschlossen ist. Mich hatte Reto auch gefragt, aber ich bin gescheitert. Michel scheint dann eine funktionierende Variation des Schemas gefunden zu haben. Das i-Tüpfelchen wäre wohl ein Damenpronkin, weshalb es wohl nicht 12 Albumpunkte werden.
Was mir vor allem gefällt in im Vergleich zu vielen anderen Schachschutz-Aufgaben: Die Notwendigkeit dieses Schutzes ist nicht bereits sofort im Diagramm sichtbar. Häufig ist die potenziell schachbietende Figur im Diagramm in der Nähe des Königs und man sieht relativ schnell, dass sie nicht ohne Schutz an ihre Position gelangen konnte. Dies ist hier nicht der Fall.
Ich habe den PB noch nicht gesehen und der PR hat scheinbar die Version ausgezeichnet, die erst in der Lösung abgedruckt wurde. Damit haben wir den merkwürdigen Fall, dass die “Nebenversion” den Preis bekommen hat. Michel war damals klar der Meinung, dass die kürzere Version ohne UW Figur die Hauptversion sein soll, ich fand beide Versionen etwa gleich gut.
Was machen wir da mit dem FIDE Album? Ich habe bislang einfach die andere kürzere Version eingeschickt, könnte das aber natürlich ändern. Und natürlich gehört nur eine Version ins Album rein.
PS: Zweistellig aber keine 12, das ist genau meine Meinung
Gute Frage von Reto. Ich hatte gar nicht mehr auf dem Schirm, dass es zwei Versionen gab. Das Original (https://pdb.dieschwalbe.de/P1388892) ist einen Zug kürzer, kommt mit dem Partiesatzmaterial in der Diagrammstellung aus, hat dafür aber “nur” einen zwölfzügigen Springerrundlauf im Programm. Spontan würde ich auch eher das Original bevorzugen, denn es kommt m.E. auf den zweifachen nichtoffensichtlichen Schachschutz und weniger auf die Rundlauflänge an – und da ist Partiesatzmaterial ein gutes zusätzliches Argument. Ich darf die Aufgabe fürs Album bewerten und kann versprechen, die identische Punktzahl zu geben. Was die anderen tun, weiß ich nicht; ich könnte mir aber vorstellen, dass die Überschrift 1. Preis zum intensiveren Draufschauen animiert.