Retro der Woche 38/2022

Hatten Silvio Baier und Dmitrij Baibikov zum aktuellen WCCI ausschließlich orthodoxe Beweispartien bzw. klassische Retros eingesandt, so belegte Kostas Prentos mit seiner Einsendung von sechs Märchen-Beweispartien Platz drei.

Eines dieser Stücke möchte ich natürlich hier vorführen; es nutzt als Bedingung Point Reflection oder „Punktspiegelung“, die ich hier im Blog schon vorgestellt hatte. Ich persönlich halte sie für sehr interessant; das war auch der Grund, dass ich zugestimmt hatte, das Point Reflection Turnier 2020 des Münchener Problemkreises, das sich allerdings mit Hilfsmatts beschäftigte, zu richten.

Aus diesem Bericht zitiere ich auch die Definition: „Stehen zwei Steine (beliebiger Farbe, Könige eingeschlossen) auf Feldern, die punktsymmetrisch bezüglich der Brettmittelpunkts zueinander sind (z.B. a1-h8, b3-g6), tauschen sie ihre Zug-, Schlag- und Wirkkräfte (behalten aber die Farbe, die Bauernzugrichtung und evtl. königliche Eigenschaften bei). Ein Bauer auf der ersten Reihe kann nicht selbstständig ziehen, sein korrespondierender Stein auf der achten Reihe daher auch nicht. Die Rochade ist nur mit nicht-gespiegelten Figuren (König, Turm) möglich. Nur nicht-gespiegelte Bauern können en passant schlagen.“

Kostas Prentos
3. Murfatlar TT 2020-2021, 1. Preis
Beweispartie in 16 Zügen, Point Reflection (10+10)

 

Beim Blick auf das Diagramm fällt sofort der Bauer auf a1 auf: Der kann natürlich von b2 gekommen sein, wenn auf g7 ein Läufer oder eine Dame gestanden hat — oder auch beispielsweise von f1 aus, wenn er dort schon als Bauer stand und auf c8 ein Turm oder eine Dame.

Auch die beiden schwarzfeldrigen schwarzen Läufer weisen nicht zwingend auf eine Umwandlung hin: Beispielsweise kann er direkt von c8 kommen, wenn auf f1 ein Springer stand — oder auch via b7 mit einem Bauern auf g2 nach b6 gezogen haben.

Wir sehen also schon: Die unglaubliche Dynamik dieser Bedingung macht sie typischen Überlegungen, wie wir sie sonst bei Beweispartien anstellen, nicht unbedingt zugänglich.

Wie können wir uns denn dann der Lösung zumindest nähern? Vielleicht durch die Feststellung, dass auf beiden Seiten vier Bauern verschwunden sind? Die müssen ja irgendwo geschlagen worden sein, und dass deren Schlag sich irgendwie auf die Bauernstruktur auswirkt, ist natürlich überhaupt nicht gesagt.

Lässt sich möglicherweise aus der Diagrammstellung auf das Thema schließen? Auch das ist sehr schwer — vielleicht ist auffällig, dass vier Steine in der jeweils „eigenen“ Farbe auf der ersten bzw. achten Reihe, dort aber nicht auf ihren Ursprungsfeldern stehen!?

Mein Tipp: Versucht selbst noch ein wenig, Überlegungen zur Lösung anzustellen — und dann spielt sie in Ruhe nach!

Lösung

1.b4 f5 2.Lb2 g7xb2 3.Sc3 b1=D! 4.b5 Sxg2 5.Lxg2 b7xg2 6.e4 Tg8 7.Sce2 Tc4 8.Txb1! gxh1=L! 9.Tb4 Td5 10.Sh3 f5xf2+ 11.Kxh1! f1=S! 12.e4xe7 Lb6 13.exd8=T+! Ke7 14.Dxf1! c7-c5 15.d2-e1 Sc6 16.e1-a1 Sxd8!

Schnoebelen-Allumwandlung (dTls). Der Umwandlungstyp ist jeweils durch Züge der punktgespiegelten Steine determiniert, die von Turm und Läufer (natürlich auch von der Stellung des gegnerischen Königs, denn sonst könnten das ja auch Damen sein. Faszinierendes Thema, aber für mich quasi „unlösbar“…

In ein paar Tagen werde ich hier eine hoffentlich „lösbarere“ Aufgabe vorstellen.

6 thoughts on “Retro der Woche 38/2022

    • I haven’t added all point reflections (e.g. 13… Ke7 is not a king-move but a king moving like a queen), only for the moves where the original move options are changed.

      1. b2-b4 f7-f5 2. Bc1-b2 g7xb2 [PR with Bb2] 3. Nb1-c3 b2-b1=Q 4. b4-b5 Ng8xg2+ [PR with Qb1] 5. Bf1xg2 b7xg2 [PR with Bg2] 6. e2-e4 Rh8-g8 7. Nc3-e2 Rg8-c4 [PR with Qb1] 8. Ra1xb1 g2xh1=B 9. Rb1-b4 Ra8-d5 [PR with Bh1] 10. Ng1-h3 f5xf2+ [PR with Rc4] 11. Ke1xh1 [PR with Qd8] f2-f1=N 12. e4xe7 [PR with Rd5] Bc8-b6+ [PR with Sf1] 13. e7xd8=R+ Ke8-e7+ 14. Qd1xf1 c7-c5 15. d2-e1 [PR with Ke7] Nb8-c6 16. e1-a1 [PR with Rd8] Nc6xd8

      • Promotions are thereby explained:
        b1 must be a queen to permit both Ng8xg2 and Rg8-c4
        h1 must be a bishop to permit Ra8-d5 and not a queen because that would pin Ng1. Ng1 is pinned after the promotion because Bg1 moves like a rook (PR with Ra8), explaining the move order for W9 and W10.
        f1 must be a knight to permit Bc8-b6
        d8 must be a rook to allow for e1-a1 and not a queen because then Ke7 would be impossible.

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