Retro der Woche 46/2022

Vor vier Wochen habe ich hier das Sahnestück der Retro-Abteilung im 11. WCCT vorgestellt, das Siegerstück von Silvio Baier. Dort hatte ich auch das von der Ukraine vorgeschlagene Thema erläutert — vielleicht schlagt ihr dort noch einmal nach?

Heute will ich auf die zweitplatzierte Aufgabe eingehen; auch da bin mir sicher, dass sie euch gefallen wird.

Dirk Borst
11. WCCT, Abteilung H, 2. Platz
Beweispartie in 29,5 Zügen (14+14)

 

Betrachten wir zunächst die möglichen Schlagfälle. Sofort entdeckt man die beiden weißen Schläge: einmal mit dem [Bd2], einmal mit dem [Bf2] jeweils auf die e-Linie. Dabei können sie die fehlenden Steine [Bc7] und [Bg7] nicht beide direkt geschlagen haben: Einer wäre möglich, der dann zweimal zur Mitte hin hätte schlagen müssen.

Aber kann das funktionieren? Nehmen wir an, das sei [Bc7] gewesen. Dann kann [Bc2] sich problemlos schlagfrei umwandeln, prima. Aber was ist dann auf der g-Linie los? Dann stehen sich [Bg2] und [Bg7] gegenüber, müssen beide verschwinden — aber weder Weiß noch Schwarz hat noch Entschläge frei. Das ist also ein Widerspruch, und damit müssen beide fehlenden schwarzen Bauern je einmal schlagend umgewandelt haben. Und zumindest das Schlagen muss erfolgt sein, bis der weiße Gegenüber Richtung Umwandlung marschieren konnte. Die Überlegung bezüglich [Bg7] ist völlig analog.

Nun wissen wir schon, dass sowohl Weiß als auch Schwarz zweimal umgewandelt haben müssen. Mit Kenntnis des für dieses Turnier gestellten Themas ahnen wir also schon „Doppelsetzung“ — und die dann nur mit thematischen Schlägen.

Daraus können wir schon weitere Aspekte der Lösung ableiten: Schwarz muss oberhalb es [Bc2] cxd gespielt haben, bevor dann [Bc2] schlagfrei zur Umwandlung marschieren konnte. Aus dem Grund scheidet cxb1=X aus.

Analog auf dem Königsflügel: Nur wissen wir da noch nicht, ob durch [Bg7] gxf oder gxh gespielt wurde. Dabei ist — wieder thematisch gedacht — gxh wahrscheinlicher, weil h1 ein Themafeld sein könnte, f1 hingegen eher nicht.

Vielleicht können wir aus dem Züge zählen weitere Schlussfolgerungen ziehen? Sichtbar sind bei Weiß 3+0+0+2+5+4=14 Züge; hinzu kommen noch 10 für die beiden Umwandlungen, somit bleiben sechs Züge, um zwei Offiziere (original oder erwandelt) loszuwerden und dann bei „original“ dessen Ursprungsfeld figurgerecht zu besetzen.

Bei Schwarz sehen wir 2+0+5+3+4+3=17 — plus zehn Züge zur Umwandlung. Somit bleiben nur noch zwei Züge Zeit, thematisch die Steine loszuwerden. Also können wir schließen, dass Schwarz die „Ceriani-Frolkin-Anteile“ der Lösung spielt, Weiß hingegen die „Pronkin-Anteile“.

Das sollte nun zu eigenen Löseversuchen motivieren?

Lösung


Eine ganz schnörkellose „thematische Allumwandlung“ mit dem hübschen zyklischen Effekt der Umwandlung auf Ursprungsfeldern: Dl, lT, Ts, sD. Sehr gelungen, wie ich finde, und völlig zurecht ganz weit oben eingereiht.

2 thoughts on “Retro der Woche 46/2022

  1. [quote]
    The named cyclic effect
    is nice, but not of an essential importance for the theme and probably discovered by accident (GER)
    [/quote]
    I know Dirk, I am almost certain that this theme is intentional.

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