Retro der Woche 08/2023

Ach wie gut, dass Schach, dass besonders Problemschach so seriös ist! Ach wie gut, dass auf dem Schachbrett keine vom Alkohol geförderten Feierexzesse, wie wir sie gerade in den Karnevalshochburgen nicht nur am Rhein erleben, denkbar sind!

Wirklich nicht? Spätestes 1987 hat auch das Problemschach seine alkoholische Unschuld verloren, als John Beasley entdeckte, dass auch Schachfiguren Alkoholprobleme haben könnten — Beasley nannte sie deswegen „fuddled men“ — beschwipste Steine: Sie sind dann nach einem eigenen Zug so angeschlagen, dass sie erst einmal einen Zug „Auszeit“ nehmen müssen — wahrscheinlich sich an einem Laternenpfahl festhaltend. In dieser Zeit können sie auch den gegnerischen König nicht bedrohen.

Irgendwann entdeckte Bernd Gräfrath, dass man die beschwipsten Steine überreden konnte, bei Beweispartien mitzuwirken — die Folge davon war ein Artikel hier im Blog, der mit der Ausschreibung des 5. Retroblog-Thematurniers verbunden war.

Und aus diesem Thematurnier, dessen Preisbericht am 10.4.2020, nicht einmal zwei Wochen nach dem Einsendeschluss, erschien, möchte ich am Karnevalssonntag das Preisproblem zitieren.

Michel Caillaud
5. Retroblog-Thematurnier 2020, Preis
Beweispartie in 23,5 Zügen, Fuddled men (15+15)

 

Der fehlende weiße Stein ist offenbar Bg2, er wurde auf c6 geschlagen. Offenbar nicht direkt, [Bg2] muss also umgewandelt haben, um sich selbst schlagen zu lassen oder das weiße Schlagopfer zu ersetzen.

„Klar, sieht man doch: 24.gxh8=T+!“ sagt uns das orthodoxe Auge, um beim zweiten Blick festzustellen, dass das illegal wäre — und das sogar aus mehreren Gründen: Bei Schwarz fehlt nur Lc8 — der aber kann nicht auf dem schwarzen Feld h8 geschlagen worden sein. Und selbst wenn: Wie käme denn [Bg2] bis nach g7 — an sBg6 vorbei? Dafür fehlen Schlagobjekte.

Also müssen wir irgendwie das Ausruhen am Laternenmast ausnutzen …

Und das erläutert Preisrichter Bernd Gräfrath so: „Die ‚Fuddled‘-Bedingung wird intensiv genutzt, um reichen thematischen Inhalt darzustellen. Es muß sTg7-h7 und dann wTh7-h8 zurückgenommen werden, aber das reicht nicht zur Auflösung des Knotens. Diese gelingt erst, wenn beide thematischen Türme einen Rundlauf vollziehen (wobei der schwarze Turm sogar fast noch einen zweiten Rundlauf vollendet!). Der thematische weiße Turm entstand durch Umwandlung, ist aber nicht ‚aufdringlich‘, weil der Original-Turm von a1 auf c6 geschlagen wurde (Phoenix-Thema). Es ist auch toll, daß der schwarze König auf einem sehr gewundenen Weg nach g8 gelangt. Die Tatsache, daß die Beweispartie mit einem Matt endet, betrachte ich als zusätzlichen Bonus.“

Nach dieser Einleitung wollt ihr sicherlich selbst die Zugfolge der Lösung aufspüren?

Lösung

1.a4 Sh6 2.Ta3 Tg8 3.g4 Sf5 4.Tc3 h6 5.g5 Sh4 6.Tc6 dxc6 7.c4 Lf5 8.Db3 Kd7 9.Kd1 Lh7 10.g6 Ke6 11.Kc2 Sd7 12.gxh7 g6 13.Kc3 Tg7 14.h8=T Kf6 15.Kb4 Th7 16.Df3 Kg7 17.Tg8 Th8 18.b3+ Kh7 19.Tg7 Tg8 20.Lb2+ Kh8 21.Th7+ Tg7 22.Ld4+ Kg8 23.Th8 Th7 24.Sc3#

Bernd fasste so zusammen: “… eine Spitzenkomposition, und die Ausrichtung des Thematurniers ist schon dadurch gerechtfertigt, daß es zu dieser Komposition anregte.“

Mir gefällt sie auch sehr gut, vor allen Dingen das präzise Rangieren im Nordosten beeindruckt mich. Und vielleicht regt euch ja der Aufsatz, diese Aufgabe dazu an, euch selbst mit dieser so einfach zu definierenden, aber höchst interessanten Bedingung zu beschäftigen — auch außerhalb der Karnevalszeit!

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