Retro der Woche 12/2023

Vor ein paar Tagen hat mich eine Mail, die ich bekommen habe, an einen alten Aufsatz von mir erinnert, den ich im Jahr 1996 in feenschach veröffentlicht hatte. Eine der Aufgaben daraus, aus dem „frühen Mittelalter der Beweispartien“ von vor 32 Jahren, möchte ich euch heute zeigen.

Michel Caillaud
Phénix 1991, 5. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 17,5 Zügen (14+13)

 

Schon auf den ersten Blick erkennt man, dass uns das Zählen der im Diagramm sichtbaren Züge kaum weiter bringt. Selbst die sichtbaren Doppelbauern scheinen nicht viel hilfreiche Information abzugeben — auch, weil nur jeweils ein Schlag sichtbar ist, die anderen verborgen sind.

Aber bei etwas genauerem Hinschauen fällt dann doch etwas auf:

Beide weißfeldrigen Läufer fehlen, und sie wurden beide zu Hause geschlagen, da sie ihre Kinderzimmer gar nicht verlassen konnten. Und damit stehen die anderen drei Schläge auch mehr oder weniger fest: axTb6 und hxLg3; [Be7] starb irgendwo auf seiner Linie, da für ihn kein Schlagopfer mehr zur Verfügung steht.

Nun ist natürlich die Frage interessant, wer denn auf c8 bzw. auf f1 schlagen konnte? Das kommen quasi nur Türme gewesen sein, und damit stellt sich sofort die Frage, wie sich dann der weiße König gegen das Schachgebot von f1 aus schützen konnte, wie sein schwarzer Kollege den Turm über e8 hinein und auch wieder heraus lassen konnte?

Diese Fragen wollt ihr nun sicher selber durchs Lösen beantworten?

Lösung


Mein Aufsatz aus feenschach 121, November 1996, S. 305–307 mit „Rochade-Vexierspielen“ in Beweispartien, in denen also das Diagramm einen falschen Eindruck bezüglich Rochade(n) im Lösungsverlauf suggerieren soll. So ist es hier auch: Der Blick aufs Diagramm lässt eine lange weiße und kein schwarze Rochade vermuten. In der Wirklichkeit der Lösung ist es aber komplett anders: Weiß hat nicht rochiert, während Schwarz seine kurze Rochade wieder „zurückgenommen“ hat. Für diese beiden Manöver hatte ich „Pseudorochade“ und „Antirochade“ als Begriffe vorgeschlagen. Schwarz musste rochieren, da es für f6 noch zu früh ist, und Weiß kann nicht rochieren, weil die Rochade zusammen mit dem Weg der [Dd1] nach f1 zu lange dauern würde.

Hier sehen wir also eine weiße lange Pseudorochade und eine kurze schwarze Antirochade. Übrigens ist das zumindest zu jener Zeit (Mitte der 1990er Jahre) eines der ganz wenigen Stücke, das für die Motivation der Antirochade keine Umwandlung benötigt.

Auch heute erscheint es mir noch als lehrreich zu versuchen, die Konstruktion ganz genau zu verstehen. Ziemlich banal etwa schon: Warum geht nicht 1.– e5, da der Bauer doch eh verschwindet, der Turm auch über die fünfte Reihe ziehen könnte.

2 thoughts on “Retro der Woche 12/2023

  1. Ke1-d2-c1, Ra1-d1 and Qd1-f1: 4 moves
    Qd1-d2-e1-f1 and 000: 4 moves.
    So castling and queen moves takes as much time as the pseudo-castling. So the argumentation ‘Weiß kann nicht rochieren, weil die Rochade zusammen mit dem Weg der [Dd1] nach f1 zu lange dauern würde.’ is not correct. The problem is that white is 1 move too late to castle.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.