Retro der Woche 37/2023

In der letzten Woche habe ich hier den ersten Preis beim 11. FIDE World Cup vorgestellt, heute möchte ich euch das zweitplatzierte Stück zeigen: Wieder eine Beweispartie. Das ist kein Zufall, da das Turnier, wie bereits im letzten Jahr, ausschließlich für orthodoxe Beweispartien ausgeschrieben war; andere Retros waren nicht zugelassen. Das finde ich persönlich bedauerlich; ich hoffe, dass sich das im kommenden Jahr ändert.

Christoph Fieberg
11. FIDE World Cup 2023, 1 ehrende Erwähnung & Silbermedaille
Beweispartie in 22 Zügen (13+14)

 

Üblicherweise sind offensichtliche Umwandlungssteine (wie hier ein zweiter schwarzfeldriger schwarzer Läufer) in Diagrammstellungen von Beweispartien verpönt, weil sie oft schon eine Menge über die Lösung verraten. Das gilt natürlich nicht, wenn dieser Umwandlungsstein thematisch ist, und das ist er im vorliegenden Problem.

Zählen wir zunächst einmal die sichtbaren Züge: Bei Weiß sehen wir 5+0+4+2+3+3=17, bei Schwarz 1+3+0+9+2+3=18. Die neun Läuferzüge von Schwarz schließen natürlich die fünf Bauernzüge zur Umwandlung mit ein. Übrigens könnte die Dame auch in zwei Zügen via h4 nach h1 gelangen, das erfordert aber einen weißen Zug mehr (h2xg3xh4), und dies führt zu Problemen mit dem Weg des [Th1].

Spannend ist nun natürlich die Frage, wo die fehlenden Steine von wem geschlagen wurden? Bei Weiß fehlen Dame, [Lc1] und ein Bauer; dieser und einer der Offiziere könnten von [Be7] auf seinem Weg zur Umwandlung auf e1 oder c1 geschlagen worden sein. Der zweite Offizier könnte, aber das ist i Cent Spekulation, irgendwo im Nordwesten gefallen sein, denn bei Schwarz fehlen offenbar ein Turm ([Th8]??) und sicherlich der [Bg7].

Wo starb dann dieser weiße Offizier? Und wie passt das im Nordosten mit schwarzer Rochade zusammen?

Das ist sicher sehr spannend herauszufinden — einmal die Lösung, und dann auch die strategischen Wendungen die notwendig sind, um die Diagrammstellung in der gegebenen Zügezahl zu erreichen.

Lösung


Das Stück ist trotz der “verräterischen” Umwandlungsfigur schwer zu lösen, da auf beiden Seiten mehrere Züge frei sind, also beim Abzählen der sichtbaren Züge noch eine recht große Anzahl übrig bleibt, die auch nicht sofort erklärt werden kann. Auch sind die Schläge gut verborgen: nicht ein einziger Doppelbauer ist ein Indikator für offensichtliche Schlagfelder.

Dennoch ist das Stück deutlich mehr als ein reines Rätsel, denn der eigentliche Inhalt wird zwar im Diagramm angedeutet, ist dann aber sehr gut verborgen: Im ersten Moment sollte man meinen, dass die mattsetzenden Läufer mit zwei Zügen auskommen (Bc1-h6, Bf8-g7#) — die gut verborgene Pointe dieses Stückes ist nun, dass wohl Bf8-g7# der erwartete Mattzug ist, dieser aber vom Umwandlungsläufer geschieht. Damit ist also der Originalläufer perikritisch um g7 herumgezogen, und das über das Umwandlungsfeld c1 seines Kameraden, der andererseits das Feld g7 kritisch überschreiten musste, um es dann im Mattzug zu besetzen.

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