Vor einigen Tagen hatte ich hier bereits auf den nun vollständigen Preisbericht zum Champagne-Turnier 2023 hingewiesen. Das Ergebnis wurde bereits auf dem WCCC in Batumi bekanntgegeben, die Schriftfassung ließ aus verschiedenen Gründen etwas auf sich warten und konnte so auch ein paar notwendige Korrekturen berücksichtigen.
Gefordert waren Rochade-Retros, auch Märchenelemente waren zugelassen. Und so gewann Dirk Borst den ersten Preis in der Beweispartien-Abteilung mit der Zusatzbedingung “Circe Rex Inclusive”.
Heute möchte ich den zweiten Preis vorstellen, eine wie ich finde sehr bemerkenswerte Darstellung einer Pseudo-Rochade aus der argentinischen Werkstatt Osorio/Lois.
ChampagneTurnier 2023, 2. Preis Abteilung A
Beweispartie in 25 Zügen (13+14)
Eigentlich spricht auf den ersten Blick nichts gegen eine normale kurze Rochade der schwarzen Partei: Über die b-Linie könnte sTg4 heraus kommen, und wir müssen nur Weiß irgendwie den [Lf8] verschwinden zu lassen. Aber betrachten wir zunächst die fehlenden Steine: Bei Schwarz fehlen beide Läufer: der eine ist offenbar zu Hause, der andere auf f3 geschlagen worden.
Bei Weiß fehlen offenbar die Dame sowie a- und b-Bauer, die beide nicht geschlagen haben können. Also starb [Ba2] auf a6 und die weiße Das auf g6, während [Bb2] ohne geschlagen zu haben verschwand: Entweder als Bauer auf der b-Linie oder als Umwandlungsstein irgendwo.
Und was ist mit den sichtbaren Zügen? Da haben wir bei Weiß (0-0-0 vorausgesetzt) 2+2+2+3+3+5=17, bei Schwarz nur (0-0 vorausgesetzt) nur 1+0+3+0+3+2=9!!
Gut, wir brauchen noch ein paar Schläge sL>f3 = 2 schwarze, irgendwie muss Schwarz auch den [Bb2] beseitigt haben, und Weiß musste Lf8 “entsorgen” und zumindest für 0-0-0 zwei Springerzüge eingeschoben haben, außerdem gibt es dort Konflikte zwischen König und Läufer. Aber auch so bleiben noch Züge übrig — wie mussten die “vertan” werden?
Nun solltet ihr selbst versuchen herauszubekommen, warum das erwartete Sxf8 nicht funktioniert — und welche Konsequenzen dann das notwendige Dxf8 hat? Und warum weiß nicht lang rochieren konnte — dies aber Schwarz musste? Und warum sTg4 von h8 kommen muss?
Oder staunt über die Lösung, spielt sie dann gleich zweimal durch, um sie zu genießen.
Eine der erstaunlichsten Pseudo-Rochaden, die ich kenne, mit einem — die lange Rochade mit eingerechnet — zehnzügigen Königsmarsch, “außen herum” mit der tollen Parkposition des sT auf seinem Ursprungsfeld, interessante Bahnungsspiel auf der b-Linie und 8 Reihe. Preisrichter Michel Caillaud lobt auch 24.Td1, der noch die Illusion einer langen Rochade bei Weiß aufbaut.
A very impressive proof game problem with fake castlings.