Traditionelle „Auflöse-Aufgaben“ kann man natürlich mit zusätzlichen Forderungen würzen. Damit meine ich nicht unbedingt Märchenbedingungen, was immer geht, damit meine ich auch nicht Einschränkungen wie etwa “…, wenn im 4. weißen Zug der König zieht“, die eher an mittelalterliche Bedingungsaufgaben erinnern, sondern beispielsweise die Komplettierung der Stellung, bevor das Retrospiel losgeht.
Solch eine Aufgabe möchte ich euch heute zeigen.
Die Schwalbe 2003, 3. Preis
Ergänze einen weißen Stein auf der h-Linie! A) letzter Zug? B) letzter Zug des wK? (13+12)
Sofort fällt auf, dass der sK im Schach steht; das kann nur durch einen Batteriestein auf g6 erklärt werden. Das kann also nur ein wSh8 oder ein wLh7 sein, der bei seinem Abzug einen schwarzen Stein geschlagen haben muss, der damit Schwarz überhaupt (Rück)Zugmöglichkeiten in Form von Pendeln zur Verfügung stellen muss.
Das schwarze Schlagopfer kann nur ein Turm sein, denn „irgendwann“ muss der Nordosten aufgelöst werden mit wDh8, wKg8, Schutzstein f8 und dann Rücknahme von Te8-e7. Dieser Schutzstein muss aber erst noch aufs Brett gezaubert werden.
Um das zu überlegen, bemerken wir zunächst einmal, dass die nach der Einsetzung noch fehlenden weißen Steine [Ba2] und [Bb2] nicht direkt durch Schwarz auf dem Königsflügel geschlagen worden sein können – sie müssen sich also beide auf b8 umgewandelt haben.
Dabei müssen wir auch berücksichtigen, dass während der oben beschriebenen „Öffnungsphase“ des Nordostkäfigs Schwarz nicht mehr pendeln kann, da der Turm dann ja durch die weiße Dame temporär blockiert ist. Dann benötigen wir also einen anderen schwarzen Temposchöpfer. Das könnte der [sBb7] sein, der entsprechend weit „unten“ entschlagen werden kann, wenn beide Springer auf b8 entwandelt haben.
Damit sind eigentlich nur noch zwei Fragen offen:
– Muss wLh7 oder wSh8 ergänzt werden?
– Wie kommt der Schutzstein für den wK beim Öffnungsmanöver nach f8?
Zum Lösen schlage ich vor, mit einer der beiden Einsetzmöglichkeiten zu beginnen: Entweder, man kommt damit durch und sieht auch, wo die andere Einsetzung scheitern würde, oder man stellt fest, wann und wo der Turm „falsch“ steht und weiß, dass die andere Einsetzung richtig ist…
Klasse, wie die Verführung (nur die rechtfertigt ja die zusätzliche „Einsetzungs-Forderung“) genau an einem Tempo, an der falschen Position des sT im entscheidenden Moment scheitert. Sehr gelungen, wie ich finde.
Übrigens haben die beiden Autoren mit dem Grundschema wKf8, wDg8, sKh6 viele interessante Auflöse-Stücke gebaut; ich kann euch den einschlägigen Artikel der beiden „The Persuit of a Retrocage“ in feenschach 175, I-III/2009, S. 1-20 mit 72 Beispielen (unsere heutige Aufgabe findet ihr dort als Nr. 27) zum Genießen und Studieren ans Herz legen.
Very tricky retro.