Retro der Woche 27/2024

Bleiben wir noch einmal bei Märchenschach-Beweispartien.

In den letzten Tagen hatte ich intensiv in alten Schwalbe-Heften geblättert und war im Januarheft 1931, Seite 2, auf den Beitrag des Schwalbe-Gründungsvorsitzenden Anton Trilling „Die Legalität der Problemstellungen mit Märchenfiguren“ aufmerksam geworden.

„Wie schon immer in Turnieren mit Märchenfiguren, so mußte auch wieder bei der Entscheidung im 4. Thematurnier des ‚Essener Anzeigers‘ (Grashopperturnier) das Fehlen einer klaren, gesetzlichen Deutung dieser Frage peinlich empfunden werden.“ Natürlich ruft er mit der Forderung einer „gesetzlichen Deutung“ nicht nach BGB oder StGB, sondern, wie wir es heute formulieren würden, einer Festlegung im Codex. Trilling lehnt die damals vielfach genutzte Regelung „Märchenfiguren müssen durch Umwandlung entstanden erklärbar sein.“ ab mit der Begründung, dass dann die, wie er es nennt, „Stammeltern“ fehlen. Daher postuliert er, die Grundstellung mit Märchenfiguren sei die ganz normale plus jeweils ein weißer und ein schwarzer Märchenstein besagter Art irgendwo auf dem Brett.

Die engagierte bis höchst erregte Diskussion zu dieser Frage ging teils deutlich über den eigentlichen Inhalt hinaus (bis zu: Wieso verplempert Die Schwalbe wertvollen Druckraum für solch eine absurde und irrelevante Frage?), ohne hier zu einem Konsens zu kommen.

Mir erscheint die Trilling-Lösung eher wie der Besuch von Außerirdischen auf dem friedlichen Schachbrett, und heute wird die Frage nur noch bei retroanalytischem Inhalt betrachtet, ansonsten ist Legalität einer Märchenstellung weder definiert noch gefordert, so sieht es auch der aktuelle Codex vor.

Und ansonsten kann man die Einführung von Märchenfiguren ja auch über eine „Bedingung“ erreichen, so wie es der Autor unserer heutigen Aufgabe gemacht hat.

Mark Kirtley
The Problemist 2019, 3. Preis
Beweispartie in 18 Zügen, in der PAS ersetzen Grashüpfer die Springer (13+13)

 

Zu zählen sichtbarer Züge gibt es nicht allzu viel: gerade einmal drei Bauernzüge bei Weiß, und bei Schwarz ist es auch nicht extrem viel: 2+0+3+1+0+3=9 – exakt die Hälfte der schwarzen Züge ist sichtbar. Unter thematischen Gesichtspunkten besonders überraschend, dass man keine Grashüpferzüge sieht.

Natürlich kommen noch Züge hinzu, denn die fehlenden Steine (Dame und die Türme bei Weiß, Dame, Turm und [Bf7] bei Schwarz) müssen ja irgendwie verschwunden sein. Aber viel bringt das etwa bei Weiß auch nicht: [Th1] und [Dd1] benötigen nur einen sichtbaren Zug zum Selbstopfer, wenn das so aufgeht, und [Ta1] immerhin mindestens drei, so sind wir „schon“ bei minimal acht – und Weiß muss auch noch [Bf7] beseitigen.

Bei Schwarz sehen wir schon, dass die Grashüpfer gezogen haben müssen: Sie müssen schließlich die Türme herausgelassen haben. Also Rückkehren? Und bei Weiß? Da stellen wir beim Lösen fest, dass dxe3 erst sehr spät erfolgen kann –- dass also die Grashüpfer, von den sich opfernden Türmen abgesehen, die einzig beweglichen weißen Steine sind, die sich irgendwie sinnvoll beschäftigen müssen …

Das wollt ihr nun bestimmt selbst untersuchen?

Lösung

1.a4 b5 2.Ta3 b4 3.Tf3 Gb3 4.Txf7 Tb8 5.Tf6 Tb7 6.Td6 exd6 7.Gg3 Dg5 8.Gg6 Dg3 9.hxg3 Kf7 10.Th6 gxh6 11.Gd3 Lg7 12.Ga3 Gb8 13.Gc5 Te8 14.Gg1 Te3 15.dxe3 Gg8 16.Dd4 Ke6 17.Db6 cxb6 18.Gb1 Tc7.

Also Platzwechsel sowohl der schwarzen als auch der weißen Grashüpfer. Der schwarze ist recht einfach begründet (die Türme müssen herausgelassen werden, und für den Platzwechsel sind nur drei Grashüpferzüge notwendig an Stelle von vieren bei einer Rückkehr). Der weiße ist deutlich raffiniert, denn Weiß will seine Stellung eigentlich nicht verändern, hat aber keine Pendler, und so löst nur der Platzwechsel das Problem.

Preisrichter Kjell Widlert akzeptierte die hier wiedergegebene Stellung als Korrektur innerhalb der Einspruchsfrist, da sie gegenüber der ursprünglichen, nebenlösigen Stellung keinerlei Qualitätseinschränkungen zeigt.

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