Retro der Woche 33/2024

In den letzten Wochen und Monaten sind hier in den Retros der Woche die klassischen Auflöse-Aufgaben etwas zu kurz gekommen, darum will ich hier etwas „aufholen“. In völlig anderem Zusammenhang bin ich kürzlich über den Retro-Preisbericht in The Problemist von Henri Nouguier (März 1996) gestoßen: Aus heutiger Sicht beinahe ungewöhnlich bei solch einem großen Turnier, dass nicht zwischen Beweispartien und „anderen Retros“ unterschieden wird, dass dort keine Märchenretros auftauchen, die damals im Problemist in der Fairy-Abteilung einsortiert waren.

Das am höchsten ausgezeichnete Stück dieses Turniers, das auch den Weg ins „FIDE-Album“ gefunden hat (H9 im Album 1992-1994) möchte ich heute mit euch anschauen.

Andrej Frolkin
The Problemist 1991-1992, 1. Preis
#1 (Wer?) (15+14)

 

Die naive Antwort auf die Frage in der Forderung lautet „Na ja, wer am Zug ist; ist das Weiß, dann Sa6#/Dxb7#/cxb7#, ist das Schwarz, dann Dg7#.“ Natürlich ist genau die Frage „Wer ist am Zug?“ die entscheidende für die Retroanalyse; dass nun für beide Seiten ein einzügiges Matt bereitliegt, ist für die Analyse der Stellung und die Lösung der Aufgabe eigentlich völlig irrelevant betont aber auch Sicht mancher die Nähe zum Normal-Schach.

Schauen wir uns zunächst einmal die Stellung genauer an: Bei Weiß fehlt nur [Ba2], der nicht umgewandelt haben kann, aber auch nicht von einem schwarzen Bauern geschlagen worden sein kann. Bei Schwarz fehlen der weißfeldrige Läufer und [Bh2], der ebenfalls nicht von einem Bauern geschlagen worden sein kann. Ergo wurde er von einer weißen Figur geschlagen, oder er hat sich schlaglos auf h1 umgewandelt, um dann geschlagen zu werden oder einen geschlagenen Stein zu ersetzen.

Wie können wir nun den riesigen Knoten im Norden des Bretts auflösen?

Das ginge sehr einfach mit R: 1.– Sg7-h5 2.h5xLg6 – wenn Schwarz dann nicht retropatt wäre! Ein anderer prizipieller „Dosenöffner“ ist allerdings weit und breit nicht zu sehen, daher müssen wir überlegen, wie wir Schwarz zu Rückzügen verhelfen können. R: 1.g2-g3 scheidet natürlich aus, da das [Lf1] nicht mehr heimkommen ließe, also müssen wir uns daran erinnern, dass wir ja einen Entschlag durch Weiß noch frei haben und damit auf der a-Linie (natürlich möglichst weit oben) einen weißen Temposchöpfer generieren können. Und auf R: 1.d3-d4? werden wir noch zurückkommen.

Wenn wir nun eine schwarze Figur entschlagen, dann kann (nur) diese sich auf h1 entwandeln, der Bauer dann bis h6 zurückziehen, sodass dananch die Rücknahme von h5xLg6 möglich wird.

Wo geht das denn nun in diesem Riedenkäfig? Dazu sollte uns einfallen, dass Batterien dazu hervorragend geeignet sind.

Also können wir solche Sachen wie R: Sa/c6xSb8 Sc/a6-b8, Sb8-a/c8+ versuchen – und schon ist ein schwarzer Springer wie aus dem Nichts entstanden. Dieses Manöver muss jetzt „nur noch“ richtig eingebaut werden, und der Rest sollte so schwer nicht sein:

Lösung

R: 1.c5-c6 Sg7-h5 2.Sc6xSb8 Sa6-b8 3.Sb8-c6+ Sb4xBa6 4.a5-a6 Sd3-b4 5.a4-a5 Sf2-d3 6.a3-a4 Sh1-f2 7.a2-a3 h2-h1=S 8.c4-c5 h3-h2 9.c3-c4 h4-h3 10.c2-c3 h5-h4 11.f2-f3 h6-h5 12.h5xLg6 h7-h6! 13.h4-h5 Lh5-g6, und die Stellung kann (relativ) einfach aufgelöst werden.
Und warum kann Schwarz nicht mit R 1.– Sg7-h5 2.c5-c6 Sh5-g7 beginnen? Das würde Weiß ein zusätzliches Tempo kosten, er müsste damit noch d3-d4 zurücknehmen. Dies aber wäre fatal, da am Ende ein weißer Turm von seinem Ursprungsfeld ausgesperrt bliebe -– zu frühes d3-d4 wäre also illegal!

Temponot auf beiden Seiten, die damit die prinzipielle Rücknahme eindeutig macht, wobei Weiß die seiner Bauern fast beliebig vertauschen kann. Die Pointe mit d3-d4? ist sehr gut verborgen – und genau sie macht die Antwort auf die gestellte Frage eindeutig! Und, ich bin mir sicher, brachte das Stück ins FIDE-Album.

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