Da haben die Marketing-Spezialisten mal wieder zugeschlagen! Nachdem vor einiger Zeit die Bezeichnung Fischerandom-Chess vielfach schon durch Chess-960 ersetzt worden war, musste es vor ein paar Jahren plötzlich „intellektueller“ klingen: Wie wäre es mit einem Mix aus arabischen und römischen Ziffern? Und schon war Chess-9LX geboren, was dann aber doch zu intellektuell gewesen muss, denn nun hat eine hoch dotierte und extrem gut besetzte Turnierreihe begonnen unter dem Namen Freestyle Chess.
Komisch, zunächst musste ich da an Buckelpisten denken, aber Namen sind Schall und Rauch – und „Ryder heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix“ (Wer kann sich daran noch erinnern?). So auch hier: Weiterhin wird nach orthodoxen Regeln gespielt, nur dass die Anfangsstellung ausgelost und dann symmetrisch aufgebaut wird mit den Einschränkungen, dass die beiden Läufer einer Farbe auf unterschiedlich farbigen Feldern stehen und der König stets zwischen den beiden Türmen platziert wird. Die einzige Besonderheit bei den Zügen ist die Rochade – sie wird so ausgeführt, dass König und Rochadeturm „orthodox“ landen.
Am Freitag hat nun Vincent Keymer das Freestyle Chess Grand Slam Turnier in Weissenhaus (und 200.000 Dollar) gewonnen, sich dazu bei normaler Turnier-Bedenkzeit (ja, solche Turniere werden auch heute noch gespielt) im Halbfinale gegen Magnus Carlsen und im Finale gegen Fabiano Caruana durchgesetzt. Seine Gewinn-Strategie war sehr einfach: In den Mini-Matches über zwei Partien jeweils die erste gewinnen und die zweite sicher remis halten – das hatte bereits im Viertelfinale geklappt.
Dieses Turnier ist für mich Anlass, heute mal wieder eine Chess-960 Beweispartie vorzuführen: Ich bleibe zumindest erst einmal bei dem Namen.
Retros Mailing List 3.12.2012, Olli Heimo gewidmet.
Beweispartie in 16,0 Zügen Chess-960 (14+16)
Zunächst wollen wir die Partieanfangsstellung bestimmen, und dabei hilft uns wie so oft das Zählen der (sichtbaren) Züge. Bei Schwarz sind wir da sehr schnell fertig – wir wissen allerdings noch nicht, welche möglichen Umstellungen auf der achten Reihe notwendig waren, denn wir sehen schon, dass der König und der nun auf e8 stehende Turm schon gezogen haben müssen, denn ansonsten müsste ja sTe8 „westlich“ von seinem König stehen.
Und wie schaut es bei Weiß aus?
Im Diagramm sind 15 weiße Züge sichtbar (3K, 2D, wenn sie nicht von c1 startet, 2+1T, 2Lg7, der wegen des schwarzen Bauern auf b7 nicht von a1 starten konnte, 1wL, wenn wir annehmen, dass der weißfeldrige Läufer einmal zog und nicht zuhause geschlagen wurde, 1+0S sowie 3B). Kommt der Springer nicht von c1, so benötigt er zwei zusätzliche Züge, die nicht durch den einen gesparten der Dame auf c1 ausgeglichen werden kann. Das ergibt sich aus der Unmöglichkeit, gleichzeitig die Dame in einem Zug nach h6 und den Turm, angenommen, er startet nicht von b1, in zwei Zügen nach a3 zu bringen (Verstellung durch Bd3 bzw. Bf4). Schlussfolgerung: Sc1 hat nie gezogen. Damit hat Weiß einen Zug über die 15 sichtbaren hinaus. Der kann nicht durch Sc3 erfolgt sein, denn der kann wegen der weißen Bauern auf a2 und e2 dieses Feld nicht in zwei Zügen erreicht haben; er kommt also von b1 oder d1.
Verführung: Mit Sb1 kommt der weiße Turm auf b5 von a1 und benötigt damit den letzten freien weißen Zug. Dann kommt der Turm auf a3 von f1, was bedeutet, dass der weißfeldrige Läufer auf h1 stand. Der weiße König kommt dann von d1, da auf e1 der Läufer stehen musste, denn die schwarze Bauernstruktur zeigt, dass auf c1/c8 oder e1/e8 ein Läufer stehen muss. Das lässt g1 für die Dame. Damit haben wir (TSSKLTDL) mit dem Spiel 1.g3 Sb6 2.Lc6 Sxc6 3.f4 0-0-0 4.Tf3 Sa8 5.Db6 Sb8 6.Dh6 g6 7.Ta3 Lxb2 8.d3 Lg7 9.Lc3 Dh8 10.Kd2 Tg8 11.? — Weiß gehen die Züge aus.
Also geht nur … Das wollt ihr sicher selbst finden?