Noch eine Beweispartie aus dem Preisbericht zum 2020 Retro-Informalturnier der Schwalbe (erschienen im Aprilheft 2022) möchte ich euch präsentieren. Die heutige Aufgabe hätte ich persönlich als Preisrichter sicher etwas höher eingereiht, aber in solch einem engen und hochklassigen Feld ist das nicht verwunderlich, dass nicht alle zu identischen Reihungen kommen. (Und kämen sie es, wäre es ja völlig gleichgültig, wer denn nun richtet…)
Sicher hat sich längst herumgesprochen, dass der Autor hervorragende, strategisch interessante und originelle Beweispartien zu bauen versteht – das zeigt sich auch hier:
Die Schwalbe 2020, Thomas Brand gewidmet, 4. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 20,5 Zügen (11+16)
Das übliche und fast reflexartige „sichtbare-Züge-zählen“ hilft uns bei Weiß erst einmal nicht viel weiter: Sichtbar sind nur 1+0+0+0+2+3=6 Züge – nicht einmal ein Drittel! Aber immerhin müssen ja fünf weiße Steine verschwinden, von denen zumindest drei – natürlich nicht [Lc1] – gezogen haben .
Auffällig im Diagramm ist besonders der sTc1, der offensichtlich den weißen Läufer dort geschlagen hat: Wie ist der in den Süden vorgedrungen? Wahrscheinlich über Westen, also über a1, denn über die g-Linie würde er im Zweifelsfall ja kräftig stören.
Zählen wir also unter dieser Annahme die schwarzen Züge: 3+2+7+4+1+5=22. Holla, das kann nicht sein, denn Schwarz hat ja nur 20 Züge gemacht! Wo können wir da optimieren? Nur darin, wirklich den [Ta8] über die g-Linie ins weiße Lager gelangen zu lassen: Das spart exakt zwei Züge, und damit passt es dann!
Dem stehen natürlich der weiße König und der Turm entgegen – besser gesagt: Im Weg! Ok, da muss also der König auf f2 gestanden haben, der Turm noch auf h1, wenn Schwarz seinen Turm nach g1 gespielt hat. Also Pseudorochade, um eine schwarze Schwerfigur herein zu lassen: Soo originell erscheint das nicht!
Aber wir wissen ja, dass wir noch weiße Steine verschwinden lassen müssen. [Lc1] ist klar; ebenso ist klar, dass [Bg2] auf „seiner“ Linie verschwand: Er hatte ja kein Schlagopfer zur Verfügung. Also müssen [Ta1], [Dd1] und [Lf1] aktiv verschwinden. Der Turm kann sich leicht in zwei Zügen auf f4 opfern, aber Läufer (dann auf e6 wegen der Felderfarbe) und besonders die Dame auf b6 sind schon problematischer, da sie sich mit den künstlich rochierenden Steinen in die Quere kommen.
Diese Konflikte solltet ihr nun selbst versuchen zu entwirren, denn das, was da passiert, ist immer noch überraschend und höchst originell; das ist so noch nicht dargestellt worden!
Paradoxer geht es wirklich kaum!
Ich selbst hatte in der Lösungsbesprechung abschließend erwähnt: „Übrigens ist die Stellung auch mit sTd1 und noch vorhandenem wLc1 korrekt. Hier bin ich mir aber mit dem Autor völlig einig, dass dies einer der seltenen Fälle ist, wo die Stellung mit zusätzlichem (gar unthematischem) Schlag vorzuziehen ist, da er das Thema noch besser verbirgt: Warum soll der Turm nicht über a1 gekommen sein?“
Mark is one of the best, if not the best, task composers there is, not just in proofgames.
Unbelievable white play: Castling, ‘uncastling’, ‘castling’.
Grossartig, das müsste definitiv ein Preis sein!