Vor zwei Wochen hatte ich euch hier den zweiten Preis aus dem allerersten Israel-Ring-Turnier für Beweispartien der Jahrgänge 2022 und 2023 vorgestellt, der im Heft 92 (April 2024) von Variantim veröffentlicht wurde. Nun möchte ich fortfahren mit dem dritten Preisträger; dieses Stück ist gleichzeitig das bestplatzierte orthodoxe.
Variantim 2022-2023, 3. Preis im IRT
Beweispartie in 29 Zügen (14+14)
Bei Silvio können wir ja von moderner und gleichzeitig origineller „Proofgame of the Future“ ausgehen: Also zwei Themen, die „irgendwie“ miteinander verknüpft und jeweils doppelt gesetzt sind. Der Begriff – siehe dazu das immer noch äußerst lesenswerte Sonderheft der Schwalbe „Future Proof Games – A challenging new concept“ von Silvio Baier, Nicolas Dupont und Roberto Osorio – ist abgeleitet von Chris. Feather’s „Helpmate of the Future“, der entsprechend für Hilfsmatts definiert ist.
Übrigens weckten die drei Autoren mit dem Untertitel Part one: Classical FPGs die Hoffnung auf einen märchenhaften zweiten Teil, die aber bisher (noch?) nicht erfüllt ist.
Eigentlich müssten wir wieder einen Riesenschrecken bekommen, da ja nur sehr wenige der jeweils 29 Züge im Diagramm sichtbar sind: Bei Weiß sehen wir 2+1+4+6 = 13 (hier bin ich von den sparsamsten weißen Zügen ausgegangen, die eine lange Rochade bedeuten), bei Schwarz 0+2+0+3+2+3 = 10 Züge. Aber ein wenig können wir uns trösten, dass die Bauernstruktur schon etwas mehr verrät: Auf beiden Seiten fehlen genau zwei Bauern, die selbst nicht mehr geschlagen haben können, da die noch vorhandenen jeweils beide Schläge ausgeführt haben müssen. Dabei können sie aber keinen der jeweils andersfarbigen Bauern geschlagen haben – also hat es auf beiden Seiten genau zwei Umwandlungen gegeben: Durch Weiß auf d8 und g8, durch Schwarz auf a1 und c1.
Das sind schon jeweils zehn weitere Züge – und außerdem müssen ja noch zwei Offiziere verschwinden. Und wir können auch schon schließen, dass jeweils mindestens ein Umwandlungsstein noch auf dem Brett steht, denn ein Originalstein muss sich ja zunächst geopfert haben, um für den ersten Umwandlungsstein, der, wie wir gesehen haben, schlagfrei entstanden sein muss, eine Schneise zu ermöglichen.
Damit wissen wir schon eine ganze Menge – vielleicht habt ihr ja auch schon eine Idee bezüglich der Umwandlungssteine und was mit ihnen passiert ist? Denn noch gibt es hier noch manche Nuss zu knacken: Wer von euch hätte denn „sofort“ gesehen, dass Schwarz zwischendurch plötzlich einen Tempozug machen muss, der später im richtigen Moment wieder zurückgenommen werden kann?
Aber vielleicht hilft euch ja genau dieser Hinweis beim Versuch des Selbst-Lösens?
Auch hier möchte ich wieder Preisrichter Andrej Frolkin zitieren: „A high-level ‚proof game of the future‘ presenting black and white Pronkin pieces (knight and bishop, respectively) and black and white CF (again knight and bishop). Also worthy of mention is the black king’s switchback.“ Ja, gerade diese Rückkehr hebt das Stück deutlich über viele doppelt doppeltgesetzte Umwandlungs-Beweispartien hinaus, gibt zu der technischen Großleistung noch einen ästhetischen „Pfiff“.
Wie immer vielen Dank an Thomas fürs Zeigen und die netten Worte.
Zur Konstruktion: Beim Zählen der weißen Züge nach den Erkenntnissen mit 0-0-0 und notwendigem Umwandlungsstein kommt man auf 29, so dass kein Zug mehr frei ist. Daher musste a1=X nach 0-0-0 geschehen. Das motiviert die schwarze Springerumwandlung – also a1=S, wobei diese erst nach c1=X geschah, so dass ein schwarzer Umwandlungsspringer auf dem Brett steht. Eine große Schwierigkeit war, Nebenlösungen mit Sg8-f6-d5-b6, c2-c5:b6 und a7-a1=S-e4 auszuschalten. Diese braucht genauso viele schwarze Züge. Auch andere Felder als e4 kamen nicht in Frage, da der Springer wegen g8=L ohnehin ziehen musste und h6 durch den Bauern belegt ist (Mit sBh5 statt h6 geht häufig auch Dh5 (g6:Dh5) und d8=D-d6 mit Ausweichen des schwarzen Königs nach f7.). Hier half letztlich das Konstrukt mit Df5, die im obigen Fall das Feld b1 bestreicht, so dass es der weiße König nicht rechtzeitig betreten kann. Der Weg des Springers von a1 nach b8 war dann zum Glück recht leicht eindeutig zu machen; er muss sowieso über c2 und der weiße Turm kann rechtzeitig c6 blockieren.
Eine zweite Schwierigkeit war es, den Aufzug des schwarzen a-Bauern nach a3 richtig zu timen. Bei den ähnlichen Aufgaben https://pdb.dieschwalbe.de/P1285634 und 1.a4 c6 2.a5 Db6 3.a:b6 a5 4.Ta3 a4 5.Tb3 a3 6.h4 a2 7.h5 a1=D 8.h6 Da5 9.Th5 Dc3 10.d:c3 f5 11.Lg5 f4 12.Dd6 f3 13.Dh2 d5 14.e3 Kd7 15.Se2 f:e2 16.f4 Kd6 17.f5+ Kc5 18.f6 e6 19.f7 Le7 20.f8=S d4 21.Sg6 h:g6 22.h7 Sh6 23.Kf2 Tg8 24.h8=S d3 25.Sf7 d2 26.Se5 d1=D 27.Sf3 Dd8 28.Sg1 (SB, P0372 StrateGems 65, 2014, 4. eE) funktionierte das quasi nebenbei. Hier habe ich es nur durch die angeklebte Anfangssequenz hinbekommen, wofür die Rückkehr des schwarzen Königs vielleicht ausreichend inhaltliche Kompensation bietet.
Der Hinweis auf FPG Part 1 ist berechtigt, Part 2 (Das wären dann alle, die nicht unter “klassisch” fallen würden.) wird jedoch aller Voraussicht nach nicht geben. Der Zeit- und Koordinationsaufwand war zu damaliger Zeit leider zu groß und inzwischen gibt es auch so viel neues Material bei den klassischen FPGs, dass nur ein großes Buch mit beiden Teilen für mich Sinn ergäbe. Unterstützen würde ich ein solches Projekt, federführend leiten möchte ich es aber nicht.
Das Teilgebiet 2x Ceriani-Frolkin und 2x Pronkin (klassich und nichtklassisch) müsste durch die Artikelserie in der Schwalbe 2022 und 2023 gut dokumentiert sein. Ich plane dazu ein Update (zumindest alle Aufgaben (u.a. mit dem hier gezeigten Stück), ggf. ohne Text, möglicherweise auf der Schwalbe-Homepage), wenn die noch in der Pipeline befindlichen Aufgaben publiziert sind. Ganz vorsichtig würde ich dafür Anfang 2026 anpeilen.