Vor einigen Tagen erhielt ich ein Büchlein „My Retro Problems“ von Gligor Denkovski (20.08.1946 — 15.01.2015), das er selbst im Jahre 2013 zusammen gestellt hatte, das nun von seinem Sohn Ivan, mit dem er einige Aufgaben gemeinsam gebaut hatte, publiziert worden ist.
Beinahe alle der dort veröffentlichten 57 Aufgaben sind orthodoxe Beweispartien ab dem Jahr 2001. Überwiegend hat sich Gligor mit kürzeren, pointenreichen Beweispartien beschäftigt; Umwandlungsthemen, Platzwechsel und auch Rückkehren waren neben Bahnungen seine überwiegend bearbeiteten Themen.
Eine vielleicht nicht ganz typische Aufgabe möchte ich hier vorstellen:
Probleemblad 2006
Beweispartie in 22,0 Zügen (15+15)
Auffällig ist natürlich die Homebase bei Schwarz, in der nur ein Springer fehlt, der auf c3 oder c4 (Doppelbauer bei Weiß) geschlagen werden musste. Bei Weiß fehlt nur [Be2], der offensichtlich von einem Springer geschlagen worden ist.
Eben hatten wir gesagt, dass der fehlende schwarze Springer auf c3 oder c4 geschlagen worden sei: Können wir das genauer bestimmen?
Das können wir, und dabei hilft uns das „Paritäts-Argument“: Bei Schwarz können nur Springer und Türme gezogen haben. Beide Türme stehen auf ihren Ausgangsfeldern, sie können maximal ein Feld weiter gezogen haben, können dabei kein Tempo verlieren und haben daher eine gerade Anzahl mal gezogen.
Damit haben auch die Springer wegen der geraden Anzahl an Gesamtzügen eine gerade Anzahl mal gezogen.
Damit scheidet ein Schlag des [Sb8] auf c4 aus, da er hierhin eine ungerade Anzahl von Zügen benötigt hätte. [Sg8] hingegen hätte c4 in einer geraden Anzahl von Zügen erreicht — dann aber muss [Sb8] nach g8 ziehen, was wiederum eine ungerade Anzahl von Zügen erfordert.
Also wurde der fehlende Springer auf c3 geschlagen. Nun wollen wir die weißen Züge zählen:3+2+6+3+4+3=21 — dies setzt voraus, dass zuerst c2-c4 gezogen wurde, dann b2xc3.
Unabhängig davon sehen wir, dass [Th1] nur über b1 ins Freie gelangt sein konnte, da erst Sg1-e2 gezogen werden musste, und dieser Springer hat keine Möglichkeit, die e-Linie wieder freizuräumen.
Am anderen Turm erkennt man, dass kein Zug bei Weiß mehr frei ist: Ist er ebenfalls über b1 ins Freie gelangt, so muss zunächst b2xc3 geschehen sein, sonst hätte einer der beiden Türme einen weiteren Zug verlieren müssen, um auf die dann bereits verstellte vierte Reihe zu gelangen. Kam er allerdings via e1 ins Freie, muss [Dd1] bereits ihr Ursprungsfeld verlassen haben. Dann allerdings kann sie nicht in einem Zug via g1 nach c5 gelangt sein, sondern benötigt drei statt zwei Züge: Wieder sind alle weißen Züge verbraucht.
Nun gilt es also die Zugreihenfolge bei Weiß herauszufinden: Welche Züge konnten bereits vor der Öffnung des Damenflügels geschehen sein, wie ist dann die exakte „Serienzug-Folge“ von Weiß? Denn Schwarz kann dann nur noch mit dem schwarzen Springer ziehen (falls der wK noch nicht auf g4 steht) oder mit Ta8.
So schwer sollte es nun nicht mehr sein, die genaue Zugfolge zu finden:
1.f3 Sc6 2.Kf2 Sd4 3.Kg3 Sxe2+ 4.Kg4 Sc3 5.bxc3 Tb8 6.La3 Ta8 7.Ld6 Tb8 8.Sa3 Ta8 9.Tb1 Tb8 10.Tb5 Ta8 11.Tg5 Tb8 12.Lb5 Ta8 13.Se2 Tb8 14.Dg1 Ta8 15.Dc5 Tb8 16.Tb1 Ta8 17.Tb4 Tb8 18.Tf4 Ta8 19.c4 Tb8 20.c3 Ta8 21.Sc2 Tb8 22.Sb4 Ta8.
Ein hübsches neunfaches T-Pendel; der wesentliche Kompositionstrick besteht darin, einen Grund zu finden, dass einer der Springer sich schnell opfern muss und der andere in seiner Zugfähigkeit („mechanisch“ mit Verstellung seiner Sprungfelder oder durch den andersfarbigen König auf einem Feld, das der Springer angreifen würde) eingeschränkt wird.
Nachtrag 23.8.2015:
Die erste Auflage dieser Broschüre aus dem Jahr 2009 mit 50 Retros von Gligor steht im Internet zum Download zur Verfügung.
This proof game is a very enjoyable solving object, albeit on the easy side.
I does not bother me that the theme is apparent from the diagram position
Zur Zeit läuft übrigens noch die Einsendefrist für das Gligor-Denkovski-Gedenkturnier, dessen Retro-Abteilung das Thema “orthodoxe Beweispartien mti Switchback-Manövern” hat; siehe z.B.
http://juliasfairies.com/ru/announcements-tmp-2015/
Über eine zahlreiche Beteiligung würde ich mich freuen!
Tja, da würde Bernd sich nicht nur freuen, weil er sowieso gern gute Beweispartien sieht, sondern auch weil er Preisrichter in diesem Turnier ist! 😉 Einsendeschluss ist übrigens der 1. September!