Retro der Woche 16/2021

Wenn der Retro-Kompositionsweltmeister von 2004—2006 die folgende Beweispartie als seine beste (bis zum Jahr 2006 …) bezeichnete, wenn sie im FIDE-Album 10,5 Punkte erhielt, dann kann man schon eine Menge erwarten. Wenn man allerdings nur ins Album schaut und die Schlüsselwörter liest, kann man schon ins Grübeln kommen, wieso ein Richter gar 4 Punkte gegeben hat, denn soo ungewöhnlich ist das eigentliche Grundthema sicher nicht.

Aber es kommt gerade bei Beweispartien nicht nur auf das „was?“ an, sondern auch auf das „wie?“ und auf das „warum?“. Und das ist hier schon bemerkenswert.

Reto Aschwanden
StrateGems 2004, 1. Preis
Beweispartie in 20 Zügen (14+13)

 

Bei Schwarz ist nicht viel Sichtbares passiert, bei Weiß zählen wir die sichtbaren Züge (wobei wir die lange Rochade voraussetzen, da sie die erforderlichen weißen Züge minimiert): 2+2+3+3+4+6=20: alle weißen Züge haben wir also schon erklärt. Und damit haben wir schon bewiesen, dass Weiß lang rochiert hat, denn sonst brauchte er mindestens einen weiteren Zug, der ihm aber nicht zur Verfügung steht. Damit wissen wir ferner, dass die fehlenden [Bc2] und [Bg2] nicht gezogen haben können, also auf ihren Anfangsfeldern gestorben sein müssen.

Bei Schwarz hingegen sehen wir nur die beiden Bauernzüge, und aufgrund unseres Zählens ist auch klar, dass [Bb7] auf b6 geschlagen wurde. Wie aber sind die beiden anderen fehlenden schwarzen Bauern [Bd7] und [Bf7] verschwunden? 17 Züge hat Schwarz dafür Zeit …

„Natürlich“ liegt es nahe, dass die fehlenden schwarzen Bauern die fehlenden weißen zu Hause schlugen und sich dann umwandelten — um dann selbst geschlagen zu werden oder geschlagene Originalsteine zu ersetzen. Also zunächst d7-d3xc2-c1=X und f7-f3xg2-g1=Y.

Die beiden fehlenden schwarzen Steine — egal, ob nun Original oder Umwandlungsstein — können nicht von weißen Bauern geschlagen worden sein: Die haben dafür keine Zeit, da alle vier bewegten weißen Bauern mit einem Doppelschritt begonnen haben und auch Bb5 und Bh5 von b2 bzw. h2 kommen mussten.

Ist ein Schlagen der schwarzen Umwandlungssteine möglich? Wenn, dann müssen sie „irgendwie“ im Rahmen der Umgruppierungen der weißen Steine auf der ersten und zweiten Reihe oder auf b3 von der Dame geschlagen worden sein.

Tc4 kann keinen Umwandlungsstein geschlagen haben, da er sehr früh auf seinem Zielfeld landen musste, um dann d4 und e4 spielen zu können, die folgenden Umgruppierungen durchzuführen.

Alternativ die Überlegung: wo könnten welche schwarzen Originalsteine geschlagen werden, um dann von Umwandlungssteinen auf deren Anfangsfeldern ersetzt zu werden? Auch hier scheiden Bauernschläge aus.

Und wir erinnern uns an unser Zählergebnis: „Umwege“ des Weißen zum Schlagen stehen nicht zur Verfügung … Das sollte doch nun zum Lösen reizen?!

Lösung

Formal also „nur“ zwei Pronkins, aber die sind überragend dargestellt: Schwarz opfert seine Themasteine zum Schlag durch weiße Offiziere frühzeitig nur deshalb, weil später selbst sieben (!) Züge nicht ausreichen, die Umwandlungssteine wieder loszuwerden.

Einfach großartig — für mich die wohl überraschendste und eleganteste Darstellung des Pronkin-Themas, die ich kenne!

5 thoughts on “Retro der Woche 16/2021

  1. Hier kann ich mich Thomas letzten Worten nur anschließen. Das ist schon eine sehr tiefe Begründung dür die Pronkins. Das Paradoxon, das einem Pronkin selbst schon innewohnt wird hier quadriert. Für mich im FIDE-Album unterbewertet.

    • Danke für die Blumen! Bei der Beurteilung einer Aufgabe gewichte ich persönlich Originalität sehr hoch, und in dieser Hinsicht stand die Aufgabe damals alleine da. Und je eleganter/subtiler, desto besser.

      Wenn auch sehr schwierig aufzusprüren, müssten noch mehr Meisterwerke in der Ecke zu finden sein…

  2. Ciao Thomas – schon wieder eine Aufgabe von mir! Danke.

    PS: Einzige (?) thematisch vergleichbare Aufgabe stammt auch von mir, Probleemblad 2019: b1k3n1/pn6/qprb1rp1/3pp2p/6P1/8/1PP2P1P/RNBQKBNR, BP in 18.5.
    Hier mit 2 Läufern dargestellt. Sieht ja so einfach aus, aber auch das hat lange gähren müssen, bis es endlich korrekt war.

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