Retro der Woche 02/2022

Als Preisrichter für die Retro-Urdrucke der Schwalbe im Jahr 2022 konnte ich Richard Dunn, meinen Sachbearbeiter-Kollegen von The Problemist, gewinnen. Aus seiner Rubrik, konkret vom Januar 2021, habe ich für heute eine Beweispartie eines Autors ausgesucht, an dessen Werken ich immer Freude habe.

Rustam Ubaidullajew
The Problemist 2021
Beweispartie in 15,5 Zügen (14+12)

 

Rustam ist kein wahnsinnig produktiver Komponist: Die PDB enthält 77 Aufgaben von ihm – und davon sind 74 Beweispartien! Ohne sich auf spezielle Modethemen zu konzentrieren sind seine Aufgaben stets originell und attraktiv zu lösen. Ich glaube, das gilt auch für das heutige Beispiel. Und so ist es nicht überraschend, dass ich in dieser Rubrik bereits mehrere seiner Aufgaben vorgestellt habe. Wenn ihr Lust und Zeit habt, nutzt einfach die Suchfunktion, um die Aufgaben zu finden, zu lösen oder durchzuspielen!

Das heutige Beispiel ist relativ kurz, sodass ich nur wenige Hinweis zur Lösung geben möchte. Bei Weiß fällt natürlich sofort die Homebase auf; da gibt es also keine Züge zu zählen. Die schwarzen zu zählen ist schon deutlich interessanter:

4+1+1+3+0+4=13 – zwei Züge sind also frei? Nein, nicht wirklich, denn woher sTd8 auch kommen mag, dem muss einer der beiden Springer Platz gemacht haben: der muss also einschließlich seiner Rückkehr zwei Mal gezogen haben, und damit sind alle schwarzen Züge erklärt.

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Beweispartien-Thematurnier

Dies russische Problemschachseite superproblem.ru hat in ihrem 266. Thematurnier erstmals Retroanalyse aufgegriffen — es geschehen noch Zeichen und Wunder!

Die ausführliche Ausschreibung für die geforderten Beweispartien enthält thematische und nicht-thematische Beispiele; ein paar sprachliche Klarstellungen wurden heute bereits in der Retro Mailing List vorgenommen: “pieces” umfassen auch Bauern, und Umwandlungssteine sind erlaubt, solange sie aus einem Figurenkasten stammen (auch zwei gleichfeldrige Läufer werden als unzulässig angesehen).

Einsendungen bis zum 28. Februar 2022 schickt bitte per Mail an Alexej Oganesjan (alexeioganesyan(at)gmail.com); Preisrichter ist Michel Caillaud.

Viel Spaß und Erfolg!

Freitagnachmittags

So wie manche hier regelmäßig am Sonntagmorgen nach dem Retro der Woche schauen, so lohnt es auch, am Freitagnachmittag nach dem neuen YouTube-Beitrag von Mustermatt, dem Schwalbe-Kanal zu schauen.

Dort stellt Johannes Quack immer interessant und mit vielen Hintergrundinformationen — dabei bleibt er trotzdem stets gut verständlich — ein oder zwei Schachprobleme vor, erklärt daran wesentliche Aspekte des Problemschachs.

Am letzten Freitag, also an Silvester 2021, hat er dort Beweispartien vorgestellt. Eine prima Einführung ist das, und ich kann euch nur empfehlen, den Beitrag anzuschauen! Und kopiert euch den Link, wenn ihr mal in eurem Schachclub Beweispartien vorstellen wollt…

Retro der Woche 01/2022

Im Retro der Woche 42/2021 hatte ich den ersten Preis in der Beweispartie-Abteilung des Retro-Turniers 2019 in der Schwalbe vorgestellt. Heute will ich den zweiten Preis folgen lassen, der mir auch sehr gut gefällt, da er eine sehr originelle Idee höchst elegant präsentiert.

Reto Aschwanden
Die Schwalbe 2019, 2. Preis Gruppe A
Beweispartie in 18,5 Zügen (14+14)

 

Kein einziger Bauernschlag ist im Diagramm auszumachen, bei Schwarz ist nur ein einziger Zug zu sehen — also beginnen wir mit dem Zählen der weißen Züge: Sicherlich können wir daraus erste Schlüsse ziehen.

Also: 3+1+3+4+1+5=17 — zwei Züge sind noch frei. Aber waren wir da nicht zu optimistisch? Was passierte beispielsweise auf der h-Linie?

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2022

Allen Retrofreunden wünsche ich
ein gutes neues Jahr 2022!

Wie in den letzten Jahren möchte ich heute mit euch zusammen einen Blick in die Geschichte der Retroanalyse 100 Jahre zurück werfen.

In diesem Jahr ging der Stern eines Jung-Twens auf: Hans Klüver aus Hamburg (*4.3.1901). Große Aufmerksamkeit brachte sein monumentaler Aufsatz (20 Seiten, 40 Aufgaben) “Schnittpunktphänomene in der retrograden Analyse“ im ebenso monumentalen Kongressbuch des Turniers in Teplitz-Schönau im Oktober 1922 (664 Seiten, davon mehr als 200 (!) über Problemschach). Dies war der bis dahin bedeutendste deutschsprachige Beitrag zur Retroanalyse, und Klüver wandte sich besonders an die „Neudeutschen“, um deren Interesse für das rückläufige Spiel zu wecken — dazu waren natürlich Schnittpunkt-Themen besonders geeignet.

Aus dem Artikel möchte ich den Klüver’schen Originalbeitrag vorstellen und euch zum Lösen einladen — so schwer ist die Aufgabe nicht!

Hans Klüver
Schachkongress Teplitz-Schönau 1922
Weiß nimmt seinen letzten Zug zurück und setzt in zwei Zügen matt. (13+14)

 

In einer Woche werde ich hier die Lösungsangabe aus dem Kongressbuch zitieren.

Lösung

Aus dem Kongressbuch S. 483-484, zu Nr. 30:
Nr. 30 zeigt ein antikritisches Manöver im weiß-schwarzen Schnittpunktgefüge. Schwarz könnte zuletzt nicht gezogen haben, da g7-g6 den zu entschlagenden schwarzen Königsläufer aussperren und c7-c5 den Ld8 einsperren würde. Weiß muß also einen Zug zurücknehmen, der einen legalen schwarzen Retrozug ermöglicht. Ein Entschlag auf g4 (h3:Dg4) ist nicht angängig, da der Bg4 auf g3 den schwarzfeldrigen Läufer zu entschlagen hat, um nach dessen Bewegung nach f8 und der eines Turmes nach h8 g7-g6 nebst f6:Dh7 zu ermöglichen. Einzige Möglichkeit: 1.Lb6-d8! (antikritisch) c7-c5; 2.Kd4-d5! e6-e5+ 3.Sa2-b4 (Kc6-b7) oder 3.Lc5-b6 (Sb6-a8). Nach Rücknahme von Lb6-d8 kann Weiß dennoch mittels bc: ep+ dc:+ 2.Lc6# matt setzen.

Wenn sich das Brett dreht

Wenn sich das Schachbrett vor unseren Augen dreht, kann das daran liegen, dass es auf einer Tortenplatte steht, zum Beispiel auf der berühmten von Dr. Ernst Bachl. Oder das liegt an dem einen oder anderen Silvesterpunsch zu viel.

Wenn sich aber nur das Zentrum des Bretts dreht, dann liegt das wahrscheinlich an der Märchenschach-Bedingung „Actuated Revolving Centre“!

Deren Regel ist eigentlich ganz einfach: Nach einem Zug ins Zentrum (Felder d4 e4 d5 e5) oder aus dem Zentrum heraus dreht sich das Zentrum mit all seinen Steinen darin um 90° im Uhrzeigersinn.

Zum Jahreswechsel lädt uns Michael Barth ein, zwischendurch ins Rotieren zu kommen. Wer rotiert mit?

Michael Barth
Urdruck 31.12.2021
Beweispartie in 5 Zügen, Actuated Revolving Center (16+16)

 

Die Lösung findet ihr hier im kommenden Jahr — etwas konkreter: etwa in einer Woche!

Und nun wünsche ich euch einen schönen Silvestertag, kommt gut ins neue Jahr, dort sehen wir uns dann hoffentlich gesund und munter wieder!

Hier die Lösung:

Lösung

(“D” bedeutet Drehung des Zentrums)
1.e2-e4 D d7-d5 D 2.d5-d6 D Lc8-f5 3.d2-d4 D e7-e5 D 4.e5-e6 D d4-d3 D 5.Lc1-f4 e4-e3 D

Da zeigt Michael jeweils zwei weiße und zwei schwarze schlagfreie Betrüger-Bauern, ähnlich den orthodoxen Kreuzschlägen — wenn das nicht spezifisch ist für diese interessante Bedingung!

Rekord gekocht

Eben erhielt ich von Andrej Frolkin die Mitteilung, dass der Längenrekord für orthodoxe Beweispartien, der hier am ersten Weihnachtstag urgedruckt wurde, doch noch defekt ist:

Michail Kosulja fand: 1.a4 h5 2.a5 h4 3.a6 h3 4.a:b h:g 5.h4 d5 6.h5 d4 7.h6 d3 8.h7 d:c 9.d4 a5 10.Lh6 c1T 11.e4 Tc5 12.Se2 Th5 13.e5 c5 14.e6 Sc6 15.b8T a4 16.Tb4 a3 17.Ta4 c4 18.b4 c3 19.b5 Da5 20.b6 g1T 21.b7 Tg4 22.b8T c2+ 23.T8-b4 Lb7 24.d5 0-0-0 25.e:f e5 26.d6 Kb8 27.d7 Lc5 28.f8T Se7 Tf3 a2 30.Tf-a3 Sc8 31.f4 g5 32.f5 Te-g8 33.f6 e4 34.f7 e3 35.f8T Tg6 36.Tf2 Tf4 37.Dd6+ Ka8 38.Sc3 Th-f8 39.Td1 T8-f7 40.h8T a1D 41.Te8 c1D 42.Lf8 g4 43.Sa2 g3 44.Dc7 g2 45.d8T g1T 46.Td6 Tg1-g5 47.Sg3 Dg7 48.Ld3 Ld4 49.0-0 e2 50.Te5 e1T 51.Lb1 Sd8 52.Td3 Lg2 53.Se4 Dc6 54.Sc5 Te3 55.Tc2 Sb6 56.Tf1-f3 Sc4 57.Sb7 Sb2 58.Tb-c4 De8 59.Sb4 Te1#.

Das ist sehr bedauerlich; ich drücke den drei Verfassern die Daumen, dass deren Backup-Version in 58,5 Zügen korrekt bleibt!

Retro der Woche 52/2021

In den letzten Wochen haben wir uns intensiv mit der Geschichte der Längenrekorde eindeutiger Beweispartien beschäftigt, die dann gestern hier ihren Höhepunkt im neuen Rekord fand.

Darum möchte ich heute einerseits die Retro-Art wechseln, andererseits auch ganz aktuell werden; ich möchte euch heute einen orthodoxen Verteidigungsrückzüger vorstellen, der im Juni 2021 in der Schwalbe veröffentlicht wurde und mir sehr gut gefällt. Ihr erinnert euch? Beim Typ “Proca” bestimmt die schlagende Partei, welcher gegnerische Stein geschlagen wurde.

Joaquim Crusats
Die Schwalbe 2021
#1 vor 6 Zügen, VRZ Proca (15+12)

 

Bei so vielen Steinen auf dem Brett, von denen wahrscheinlich einige nicht am Rückspiel bzw. dem Matt teilhaben werden, lohnen sich häufig ein paar retroanalytische Überlegungen vor.

Umwandlungen haben nicht stattgefunden, da alle 16 Bauern auf dem Brett stehen. Bei Weiß fehlt nur [Lf1], der auf b5 geschlagen wurde. Bei Schwarz fehlen Dame, Turm, (schwarzfeldriger) Läufer und Springer; die weiße Bauernstellung verrät nichts über mögliche Schlagfelder.

Bei genauerem Hinsehen stellt man fest, dass Schwarz retropatt ist, er im Moment überhaupt keine Zugrücknahme zur Verfügung hat.

Also müssen wir mit dem Schlüssel Schwarz eine Rücknahme ermöglichen, um uns dann um das Matt zu kümmern.

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