Retro der Woche 38/2021

Bleiben wir bei aktuellen Retro-Preisberichten aus feenschach: Andrej Frolkin ging in seinem Bericht für den Jahrgang 2019, wie immer von ihm ebenso zügig wie profund vorgelegt und perfekt aufbereitet, auf die recht ungewöhnliche Verteilung der Aufgaben in „orthodox“ und „Märchenretros“ ein: Im orthodoxen Bereich fehlten Beweispartien fast vollständig, während bei den klassischen Auflöse-Aufgaben alle 21 vom selben Autor stammen!

Auf den ersten drei Plätzen landeten drei Märchenretros, bei denen die Autoren geschickt die Bedingungen bzw. Figuren ausgewählt haben, die sie das intendierte Thema darstellen ließen.

Den ersten Preis gewann eine Aufgabe des französischen Spezialisten, der auch im Bereich der Märchen-Beweispartien schon hervorragende Erfolge erzielt hat.

Nicolas Dupont
feenschach 2019, 1. Preis, Vlaicu Criçan gewidmet
Beweispartie in 16 Zügen, Vertikales Spiegelcirce (16+16)

 

 

Die Bedingung „Vertikales Spiegelcirce“ ist viel einfacher, als man bei dem recht sperrigen Namen vermuten sollte: „Ein geschlagener Stein wird auf dem Feld wiedergeboren, das sich symmetrisch an der vertikalen Mittelsenkrechten zu seinem Ursprungsfeld befindet.“ (Definition aus dem Schwalbe-Lexikon) Ein auf d3 (weißes Feld) geschlagener schwarzer Turm wird also nicht auf a8 wie im „normalen“ Circe wiedergeboren, sondern auf h8, sonst gelten die normalen Circe-Regeln.

Bei Weiß sind nur zwei Züge sichtbar, bei Schwarz allerdings springt die Bauernstruktur sofort ins Auge.

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Klaus Wenda 80

Auf den Kreuzberg in Österreich gehen heute ganz herzliche Glückwünsche: Dort hat Klaus Wenda zusammen mit seiner Frau Doris schon lange sein Sommerdomizil aufgeschlagen, dort feiert er — unglaublich! — heute seinen 80. Geburtstag.

Eigentlich muss ich sicher nicht viel über Klaus erzählen: Früherer PCCC-Präsident (1986-1994, heutiger Ehrenpräsident der Nachfolge-Organisation WFCC), noch immer WFCC-Delegierter Österreichs, ein begnadeter und vielseitiger Komponist („natürlich“ Kompositions-GM) auf allen Gebieten, nur eine Studie kenne ich nicht von ihm, Verfasser und Herausgeber zahlloser Bücher und Aufsätze, Spiritus Rector von feenschach, ein unglaublich liebenswürdiger und stets hilfsbereiter Mensch — habe ich etwas vergessen? Ja klar, seinen Einfluss auf die „modernen Retros“.

Sein Aufsatz „Beckmesser versus Stolzing. Reflexionen zur Legalität unter der Anticirce-Bedingung“ in feenschach, November – Dezember 2001, Nr. 144, S. 275–277 hat den Verteidigungsrückzüger mit der Anticirce-Bedingung wenn nicht erfunden, so aber als unglaublich vielseitige Möglichkeit, höchst komplexe, interessante und gleichzeitig sparsame Verteidigungsrückzüger zu bauen, ins Bewusstsein auch anderer Komponisten gebracht; hier seien nur Wolfgang Dittmann, Günther Weeth und Andreas Thoma aus dem deutschsprachigen Raum genannt. Wer hierzu einen Überblick sucht, dem sei immer noch Dittmanns „Der Blick zurück“ empfohlen — oder der Blick in beliebige Retro-Preisberichte der letzten 15 Jahre! Diese Entwicklung wäre ohne Klaus nicht ansatzweise vorstellbar gewesen.

Lieber Klaus, im Namen aller Leser hier im Blog wünsche ich dir für dein neues Lebensjahr(zeht) alles denkbar Gute: Gesundheit, Glück, Zufriedenheit, weiterhin viel Freude, viel Erfolg bei unserem Lieblingshobby. Und für heute wünsche ich dir, dass du zusammen mit deinen Lieben einen wunderschönen Tag verbringen kannst — lass dich feiern!

Der erwähnte Artikel war aber nicht seine erste Beschäftigung mit Märchen-VRZ: Auch einige schöne Madrasi-Aufgaben hat er gebaut, von denen ich eines meiner Lieblingsstücken hier vorstellen möchte:

Wolfgang Dittmann & Klaus Wenda
Die Schwalbe 1986 (VV)
#1 vor 3 Zügen VRZ Proca Madrasi (12+9)

 

 

 

Lösung

R 1.Te4-h4? d4-d3! Weiß ist in Zugzwang; 2.b4-b5 oder 2.f4-f5 verhindern den Vorwärts-e.p.-Schlag, da der Doppelschritt des Bd7 nicht mehr nachweisbar ist; 2.a4-a5? Kb8-c8! 3.b5xLb6 erzwungen. 2.b5xLa5? 3.Kc7-d6 wird illegal, d7d5 verbietet sich, da auch Tf8 noch einen Entschlagstein benötigt.
R 1.Tc4-h4! [2.b4xSc5 & vor: 1.Txc5#] 0-0-0! 2.Te4-c4 B~d3 3.Kc7-d6 & vor: 1.e5xd6e.p.#

(Die Lösung habe ich aus Dreiklang (Johandl, Wenda, Chlubna) zitiert; dort ist noch eine inkorrekte Fassung abgedruckt.)

Das solltet ihr genauer anschauen, das lohnt wirklich zu verstehen, wie der Zugzwang von Weiß auf Schwarz wandert.

Aber natürlich soll es auch noch etwas „für zwischendurch“ zum Lösen geben: Klaus hat sich intensiv mit „Spiegelzwillingen“ beschäftigt, vielfach im Zusammenhang mit Circe. Hier nun ein orthodoxer Hilfsrückzüger:

Klaus Wenda
problem 1976, 1. Preis
-s, dann h#1; b) gespiegelt an der Mittelsenkrechten (sTa8) (11+4)

 

 

Wie immer gibt es in etwa einer Woche hier die Lösung!

Lösung

a) R: 1.Te8xDh8 & vor: 1.Kc8 Dxe8#
b) R: 1.Ke8-e7 & vor: 1.O-O-O a8=D#

Retro der Woche 37/2021

In der letzten Woche gab es die erste ehrende Erwähnung im Retro-Preisbericht für 2018 von feenschach zu sehen; heute möchte ich euch den ersten Preis aus diesem Turnier zeigen.

Ich habe „zeigen“ geschrieben, weil ich nicht unbedingt davon ausgehe, dass ihr euch selbst aufs Lösen stürzt, obgleich das natürlich klasse wäre. Deshalb verstecke ich wie üblich auch wieder die Lösung — und die kommentiere ich dabei auch noch ein wenig: Ähnlich, wie ich es in dem Preisbericht gemacht habe.

Günther Weeth
feenschach 2018, 1. Preis
#1 vor 10 Zügen, VRZ Høeg, Anticirce (5+13)

 

Beim Verteidigungsrückzüger nach Niels Høeg bestimmt, wir erinnern uns, die Gegenseite, ob und wenn ja was entschlagen wurde. Und bei Anticirce wird der Schläger auf seinem Partieanfangsfeld wiedergeboren; ist das besetzt, so ist der Schlag unmöglich. In der Diagrmmstellung kann also nur der weiße König — er steht als einziger auf seinem Partieanfangsfeld — entschlagen. Im ersten Moment meint man vielleicht, das sei eine deutlich Lösungsvereinfachung? aber das ist es nur bedingt, da der weiße König ja quasi überall auf dem Brett geschlagen haben könnte.

(Ich orientiere mich in der Lösungsangabe und -kommentierung stark an meinem Preisbericht in feenschach 244.)

Günther Weeth hat sich in den letzten Jahren intensiv bemüht, dem Anticirce-Verteidigungsrückzüger weitere interessante Seiten abzugewinnen. Neben seinen „magischen Wandersteinen“ und in letzter Zeit der Verbindung mit Circe sei hier die Untersuchung des Typs Høeg besonders erwähnt, der noch einmal zusätzliche Komplexität bringt: Bei jedem Entschlag müssen die Interessen der Gegenseite berücksichtigt werden.

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80. feenschach-Thematurnier

Im gerade erschienenen Heft 245 (Mai-Juni 2021) schreibt feenschach ein sehr interessantes Thematurnier aus: Wie der Name (“Priorität von Märchenschachbedingungen”) scho vermuten lässt, geht es um Aufgaben mit (mindestens) zwei Märchenbedingungen, bei denen die Zwillingsbildung durch Vertauschen der Reihenfolge der Anwendung dieser Bedingungen innerhalb eines Zuges erfolgt.

Die Ausschreibung enthält genauere Erklärungen und Beispiele. Ihr könnt ihr auch entnehmen, dass die Aufgaben bis zum 31.12.2021 per E-Mail an den Turnierdirektor Walter Lindenthal (A-Großstelzendorf/Weinviertel) schicken solltet, Adresse: ego.143y(at)yahoo.de Preisrichter sind Siegfried Hornecker und Hans Gruber.

Die Art der Forderungen ist nicht eingeschränkt — vielleicht fällt euch dazu ja auch eine Retroaufgabe ein? Viel Spaß und Erfolg!

Retro der Woche 36/2021

In den letzten Jahren kann man nicht nur in der Schwalbe, sondern auch in vielen anderen Problemzeitungen den Trend feststellen, dass der absolute und prozentuale Anteil an (klassischen) Beweispartien abnimmt. Inwieweit das nur eine „Konjunkturdelle“ ist, werden wir wohl in fünf oder zehn Jahren sehen; das momentan laufende 11. WCCT könnte möglicherweise darauf hindeuten, ist die Beteiligung an der Retroabteilung dort doch sehr gut.

Auch in den schon erwähnten feenschach-Preisberichten manifestiert sich der Eindruck eines Rückgangs. Aus „meinem“ Preisbericht für den Jahrgang 2018 möchte ich die bestplatzierte Beweispartie (im Gesamtrang auf Platz vier gelandet) vorstellen:

Bernd Gräfrath
feenschach 2018, 1. ehrende Erwähnung
Beweispartie in 10 Zügen, zwei Lösungen (11+10)

 

Sicherlich ein extrem lösefreundliches Stück: Doppelte Homebase, zwei Lösungen, relativ kurz: Wenn das nicht zum Lösen vom Blatt reizt, dann weiß ich es kaum!

So elegant solche Homebase-Positionen sind, so wenig Ansätze bieten sie zum Lösen: Weder verrät die Bauernposition etwas über (die reichlich vorkommenden) Schläge, noch kommen wir mit dem Zählen sichtbarer Züge weiter: Unseren einzigen Hilfen sind die fehlenden Steine.

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Aufgaben des 11. WCCT

Pünktlich zum 1. September sind die Aufgaben, die zum 11. WCCT eingereicht worden sind, in anonymisierter Form veröffentlicht worden. Erfreulich, dass es wieder so viele Retros gegeben hat: Nach #2 und Hilfsmatts ist die Retroabteilung die drittstärkste! Und so lange hattee einige Funktionäre versucht, Retros mit dem Argument außen vor zu lassen, dass sich da kaum Leute beteiligen würden.

Schön, dass die wieder so eindrucksvoll widerlegt worden sind!

feenschach 244 und 245

Mit ein wenig Verspätung sind nun gerade die beiden feenschach-Hefte 244 und 245 erschienen. Das wie immer von Bernd Schwarzkopf hervorragend gestaltete und unglaublich schnell fertig gestellte Inhaltsverzeichnis für Band XXXVI (2019-2020) konnte bernd ellinghoven auch mit versenden.

Viel Lesestoff gibt es für alle Problemfreunde, und natürlich kommen wir Retro-Leute wahrlich nicht zu kurz: die Retro-Preisberichte 2018 (Thomas Brand) und 2019 (Andrej Frolkin), ein höchst interessanter Aufsatz von Yoav Ben-Zvi, der ja Silvester 2020 verstorben ist, zum Thema Retro-Opposition sowie ein Nachruf auf Günther Weeth, den bernd ellinghoven noch mit dem “Mittschnitt” eines von Günthers Vorträgen würzte. Dazu kommen noch einige kleinere Retro-Beiträge.

Da kann ich euch nur viel Vergnügen beim Lesen, Studieren und Stöbern wünschen!

Retro der Woche 35/2021

Nach dem 1. Preis der Beweispartien im Schwalbe-Retroturnier 2018 möchte ich nun der Sieger der zweiten Kategorie „Klassische Retros und Rückzüger“ vorstellen: ein imposantes Werk von Michel Caillaud, einer der tiefsten Verteidigungsrückzüger, den ich kenne.

Michel Caillaud
Die Schwalbe 2018, Wolfgang Dittmann zum Gedenken, 1. Preis Abteilung B
#1 vor 71 Zügen, VRZ Proca ohne VV(9+10)

 

„ohne Vorwärtsverteidigung“ bedeutet, dass Schwarz nicht das Recht hat, nach einer Zugrücknahme das Vorwärtsziel zu erfüllen. So war es von Zeno Proca auch gedacht, jedoch hat sich in den letzten gut vierzig Jahren eher als Standard „mit Vorwärtsverteidigung“ durchgesetzt.

Zunächst erkennen wir, dass die schwarzen Bauern auf der a- und der b-Linie alle fehlenden weißen Figuren geschlagen haben. Damit kommt sBf3 schlagfrei von f7; die weißen Bauern haben also zumindest vier der fehlenden sechs schwarzen Steine geschlagen.

Nach R 1.Ld6-b8 wäre Weiß schon am Ziel, wenn nach vor: 1.axb4+ Schwarz nicht noch das Fluchtfeld a6 hätte. Das kann wLg8 nehmen, dafür hat Weiß nun 70 Züge Zeit — und muss natürlich aufpassen, dass der schwarze König in seinem Nest bleiben muss. Das erfordert eine Menge an Zickzack-Manövern von König und Läufer.

Ich gebe nun „einfach“ die Lösung mit den Anmerkungen von Michel wieder: Natürlich lade ich jeden ein, selbst Löseversuche zu unternehmen, aber mit den Anmerkungen zusammen sollte sich die Strategie des Weißen auch im Nachspielen erschließen. Dafür vielleicht die Empfehlung, die Lösung erst einmal komplett durchzuspielen und das dann zu wiederholen, wobei ihr nun besonders auf die Erklärungen des Autors achten solltet.

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