Retro der Woche 15/2021

Im Aprilheft der Schwalbe 1971, also vor genau 50 Jahren, erschien der Preisbericht zum Ceriani-Gedenkturnier.

Der Italiener Luigi Ceriani (23.1.1894 — 8.10.1969) war sicherlich der bedeutendste Retro-Spezialist der Mitte des letzten Jahrhunderts. Sein Schwerpunkt war die klassische Retroanalyse, die er letztendlich als akzeptiert eigenständiges Problemgebiet etablierte, aber auch andere Themen in diesem Umfeld, z.B. die Ortho-Rekonstruktion, wo die Diagrammstellung mit geändertem Anzug erspielt werden soll. Auch mit „Märchenretros“, etwa solchen auf Zylinderbrettern, hat er sich beschäftigt.

Sein Freund Karl Fabel hatte das Turnier im Februar 1970 in der Schwalbe ausgeschrieben, Einsendeschluss beim Turnierdirektor Theodor Steudel war der 31.12.1970. Preisrichter Fabel vergab unter 15 eingereichten Stücken zwei geteilte Preise; eines der Stücke möchte ich heute zeigen.

Werner Keym
Ceriani-Gedenkturnier, Preis ex aequo
Matt in weniger als 1 Zuge (14+13)

 

„Weniger als ein Zug“ bedeutet ja, dass ein Teil eines Zuges bereits geschehen ist, dieser also „nur noch“ komplettiert werden muss.

Theoretisch kann das der Teil eines beliebigen Zugs eines Langschrittlers sein: So könnte man etwa argumentieren, wLe6 komme von f7 oder von g8, und es gehe also Lg8xd5# oder Lf7xd5#. Aber so wird die Forderung nicht verstanden, sondern im Sinne der Vollendung eines der „Spezialzüge“ Rochade oder e.p..-Schlag.

Eine unvollendete Rochade ist hier weit und breit nicht zu entdecken, also können wir davon ausgehen, dass es um e.p.-Schlag geht. Und das tut es reichlich!

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Retractor 2.0

Im Jahr 1998 hatten Theodore Hwa und Chad Whipkey von der Stanford Universität das Windows-Programm “Retractor” entwickelt, das in der Lage war, orthodoxe Auflöse-Retros und Last-Mover zu testen — nicht, wie man Hilfsmatts vollständig testet, sondern in einem sehr weiten Bereich von “Wissen” über (il)legale Stellungen, ohne dass es ein 100%iger Computertest sein kann.

Ein sehr wertvolles Programm, das nur leider nicht mehr unter den heutigen Windows-Versionen lauffähig ist. Nun hat es Theodore Hwa als Browser-Anwendung bei zunächst leichter funktionaler Erweiterung — mehr ist geplant — als Retractor 2.0 mit (natürlich englischer) Dokumentation veröffentlicht; ich kann es nach kurzen Spielen damit (das letzte Zwischendurch-Retro war in geschätzt einer Sekunde gelöst / bestätigt) euch nur herzlich empfehlen!

Letzte fünf Züge?

Heute möchte ich euch einladen, euch “zwischendurch” ein nicht allzu schweres Retrostück anzuschauen mit der klassischen Forderung “Welches waren die letzten n Züge?” Hier gibt es eine inhaltliche Besonderheit, die vom Finnen Matti Myllyniemi wohl hier erstmals dargestellt worden ist.

Matti Myllyniemi
Suomen Tehtäväniekat 1955, Thematurnier 1. Preis
Welches waren die letzten 5 Einzelzüge? (6+7)

 

 

Sicher habt ihr den Inhalt entdeckt?! Und die Lösung gibt es hier wie immer in einer Woche.

Lösung

R: 1.bxc3ep+ c2-c4 2.Ke6xSd6 exf6ep+ 3.f7-f5, und davor Sf5(x)e6+

Diese Aufgabe mit weißen und schwarzen ep-Schlag schaffte es bis ins FIDE-Album 1945-1955 (Nr. 1363)!

April-Schwalbe 2021

Heute hatte ich nun die April-Ausgabe der Schwalbe im Briefkasten, nachdem bereits gestern die elektronische Ausgabe bei mir angekommen war.

Auf 60 Seiten gibt es wieder jede Menge gerade für uns “Retro-Leute” interessantenLesestoff, darunter ein trauriger (Nachruf auf Günther Weeth) und ein erfreulicher: Der ausführliche Retro-Preisbericht für den Jahrgang 2017 von Silvio Baier. Auf diesen Bericht werde ich natürlich hier noch eingehen.

Der Urdruckteil enthält wieder neun Retros; ich lade euch herzlich zum Lösen und Kommentieren ein — und gute Urdrucke kann ich immer gebrauchen!

Natürlich enthält das Heft auch jede Menge interessanten Lesestoff über Retros hinaus. Besonders ans Herz legen möchte ich euch heute die Serie “Dies# fiel mir auf”, in der Hartmut Laue nun schon zum 24. Male auf Fragen des Selbstmatts sehr präzise und erhellend eingeht: Keine leichte, aber sehr empfehlenswerte Lektüre!

Sergej Wolobujew

Eine Nachricht, die mich sehr traurig gemacht hat, erhielt ich eben von Andrej Frolkin: Bereits am 4. August 2020 ist der russische Retro-Autor Sergej Leonidowitsch Wolobujew (*18. November 1958) verstorben.

Schon mit seinem Erstling gewann er 1982 in der renommierten Zeitschrift Schachmati w SSSR das Retro-Informal-Turnier, auf sehr hohem Niveau komponierte er vor allen in den 1980er Jahren überwiegend klassische Retros, ehe er sich Mitte der 1990er Jahre aus gesundheitlichen Gründen vom Komponieren verabschieden musste.

Ich bin ein großer Fan der Aufgaben von Sergej; vielleicht erinnert sich der eine oder andere noch an meinen Andernach-Vortrag 2011, wo ich einige seiner Aufgaben vorgestellt hatte. Der Vortrag erschien dann in erweiterter Fassung in feenschach 187 (Juli 2011), S. 109–113.

Auch hier im Blog hab ich mehrfach Aufgaben von ihm vorgestellt, ebenso vom Turnier zu seinem 60. Geburtstag berichtet. Ich kann euch nur empfehlen, zu seinem Gedenken noch einmal den feenschach-Artikel zu lesen, hier in der Blog-Suche einfach seinen Nachnamen einzugeben — oder nach ihm in der PDB zu schauen. Ich kann euch versichern, es ist ein Genuss, seine Aufgaben zu studieren.

Retro der Woche 14/2021

Beim Andernach-Treffen 2008 hatten Hans Gruber, Ulrich Ring und ich vereinbart, uns als „Richter-Kollektiv“ anzubieten, um noch ausstehende Preisberichte zu erstellen — nicht nur für Die Schwalbe, sondern auch für andere Zeitungen.

Für das Jahr 2005 war in der Schwalbe kein Retro-Preisrichter benannt worden, sodass wir Anfang 2010 diese Aufgabe übernahmen; in Andernach haben wir nach vorheriger Diskussion per Mail die Schluss-Abstimmung vorgenommen.

Heute möchte ich aus diesem qualitativ hervorragenden Turnier den ersten Preis vorstellen; die Aufgabe gehörte zu den sechs, die Reto Aschwanden zum WCCI 2004—2006 einreichte, bei dem er den Weltmeistertitel im Komponieren von Retros gewann.

Reto Aschwanden
Die Schwalbe 2005, 1. Preis
Beweispartie in 20 Zügen (14+11)

 

Bei Schwarz sind nur zwei Züge des Königs sichtbar, ansonsten scheint es so, als müsse sich Schwarz „nur“ um das Schlagenlassen seiner fünf fehlenden Steine (beide Läufer, drei Bauern) kümmern.

Bei Weiß hingegen sind im Diagramm alle 20 erforderlichen Züge sichtbar, bis auf wenige Ausnahmen (Bg6, Sh2) sind auch die „Zugwege“ aller weißen Steine erkennbar.

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Vor fünfzig Jahren

Vor fünfzig Jahren, in der April-Schwalbe 1971, erschien unser heutiges “Zwischendurch”-Stück.

Josef Haas
Die Schwalbe April 1971
(kürzestes) Matt durch Weiß (16+4)

 

Und wie immer gibt es die Lösung in einer Woche hier!

 

Die Forderung lautet ursprünglich nicht “(kürzestes) Matt durch Weiß”, wie ich es angegeben hatte, sondern “Matt in weniger als einem Zug”, aber das hätte ja schon zumindest die Hälfte des Gags verraten?

Lösung

Zählt man die weißen Bauern-Schlagfälle mechanisch ab, so kommt man auf 10: Also konnte {Bh7] irgendwie geschlagen worden sein und die Komplettierung der Rochade (Th1 > f1#) ist eine Lösung!? Nein, denn Weiß musste zusätzlich um den sBa2 herumschlagen, da für den kein Schlagobjekt zur Verfügung steht — das macht zwei weitere weiße Bauernschläge, und damit wurden alle fehlenden schwarzen Steine von weißen Bauern geschlagen, auch [Bh7], der sich also auf h1 umwandeln musste, wodurch die Rochade als Lösung ausscheidet.

Somit bleibt nur das Wegnehmen des sBf5 zur Vollendung von gxf6ep# (davor f7-f5 Tg6-b6+).

Retro der Woche 13/2021

Im letzten Retro der Woche hatte ich den ersten Preis der Beweispartie-Abteilung des letztjährigen Champagne-Turniers vorgestellt; gefordert war das Thema: Ein Original-Offizier (also nicht umgewandelt) wird von einem anderen Offizier geschlagen, der geschlagene hat mindestens einmal gezogen und selbst nicht geschlagen. Zum Zeitpunkt des Schlags gibt das Schlagopfer kein Schach, ist auch nicht gefesselt.

Die „sonstige“ Abteilung war mit nur sechs eingereichten Aufgaben deutlich dünner besetzt als die der Beweispartien. Den Preis vergab Richter Michel Caillaud an einen ziemlich vogelwilden Verteidigungsrückzüger (Frankfurter Schach, weiße disparate Steine, weißer Längstzüger); ich bespreche hier lieber die erste ehrende Erwähnung:

Andrej Frolkin
Champagne-Turnier 2020, 1. ehrende Erwähnung Gruppe B
a) letzte drei Schläge? B) minimale Zuganzahl seit dem letzten Bauernzug? (15+10)

 

Wir sehen schnell, dass bei Weiß nur ein Stein fehlt, der durch cxb des nun auf b2 stehenden schwarzen Bauern geschlagen wurde. Ferner erkennen wir, dass Schwarz direkt vor dem Retropatt steht, denn die einzig „optisch mögliche“ Rücknahme b7-b6 verbietet sich, da der Zug [Lc8] aussperren würde.

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