Chemnitzer Tageblatt

Das Jahr 1924 ist nicht nur für die Schwalbe und ihre Zeitschrift Die Schwalbe ein bedeutendes Jubiläumsjahr: Heute vor einhundert Jahren, am 21. Dezember 1924, begann Eduard Birgfeld, der spätere Vorsitzende der Schwalbe, seine Rubrik im Chemnitzer Tageblatt, die schnell große Verbreitung und weltweite Anerkennung fand. Bemerkenswert, wie Birgfeld, der ja neben Schwalbe-Vorsitz und Aufbau des International Problem Boards (I.P.B.) auch noch einen ausfüllenden Hauptberuf (Krankenhaus-Leiter) hatte, das alles schaffen konnte!

“Zum Geleit” schrieb er heute vor 100 Jahren:
“Mit dieser Nummer soll die ‘Schachecke’, die zu Kriegsbeginn in einen zehnjährigen Dornröschenschlaf gesunken war, zu neuem Leben erwachen. Sie will vornehmlich denjenigen Freunden des königlichen Spieles die Pforten zum Reiche Caissas öffnen, die nicht Zeit und Gelegenheit haben, sich in die moderne Schachliteratur zu vertiefen oder mit Gleichgesinnten auf den 64 Feldern zu tummeln.”

Auch wenn sich das beinahe liest, als gehe es hier um Partieschach, so steht das Problem — überwiegend orthodox, natürlich bei der Vorliebe Birgfelds für das Selbstmatt auch viele Aufgaben dieser Art — im Mittelpunkt, und auch Retros finden sich in der Rubrik.

Heute möchte ich aber, über den Zaun blickend, den zweiten Urdruck vom 21.12.1924 vorstellen (der erste stellte sich als vorweggenommen heraus); die Lösung gibt es wie immer etwa in einer Woche hier.

Fritz Schetelich
2 Chemnitzer Tageblatt 21.12.1924
Matt in 3 Zügen (4+3)

Retro der Woche 25/2024

Vor zehn Wochen habe ich hier eine nicht-eindeutige) Beweispartien vorgestellt, bei der eine Anzahl letzter Züge retroanalytisch eindeutig ableitbar waren. Generell ist das bei „normalen“ Beweispartien ja nicht der Fall: Da wird die Zugfolge wesentlich durch die zeitliche Beschränkung ableitbar. Hier soll ohne diesen limitierenden Faktor „Zeit“ eine möglichst hohe Anzahl an eindeutigen letzten Zügen erreicht werden, dabei soll dann eine mögliche Beweispartie, die zu der „u.s.w.-Stellung“ führt, möglichst kurz sein.

In dem im April erwähnten „Schachmatt“ Artikel ging es zunächst einmal um das „Füllen der Tabelle“, später hat sich dann speziell Hugo August weiter mit dem Thema beschäftigt und deutlich komplexere Aufgaben dazu gebaut; aus dem von Karl Fabel ausgeschriebenen einschlägigen Thematurnier möchte ich euch heute den 4. Preis vorstellen, bei dem der „Last-Moves?“ Teil interessant und die Beweispartie dorthin alles andere als trivial ist.

Hugo August
Šahovski vjesnik I/1951, 1. Thematurnier, 4. Preis
74 Einzelzüge, 31 ableitbar (12+16)

 

Das ergibt bei der hohen Zügezahl den erstaunlich niedrigen Koeffizienten von 74/31=2,39.

Der weiße König steht im Schach, also muss Schwarz mit der Rücknahme beginnen. Betrachten wir aber zunächst die Schlagfälle: Weiß konnte nicht schlagen, bei ihm fehlen ein Springer sowie [Bb2], [Be2] und [Bh2]; wLa8 ist offenbar der umgewandelte a-Bauer. Offenbar Entstand sLb1 aus [Ba7], er schlug dabei den fehlenden [Bb2]. Zwei Schläge erfolgten auf der g-Linie, darunter auch der des [Bh2], der sich also auf h8 umgewandelt haben muss. Und dann ist [Be2] irgendwo auf seiner Linie von einem Offizier geschlagen worden.

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Retro der Woche 15/2024

Ziemlich bald nach dem absoluten Zusammenbruch, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erschienen 1946 bereits wieder – teilweise improvisiert – die ersten Problemschachzeitungen in Deutschland. Carl Schrader hatte die Druckgenehmigung der britischen Militärbehörde in Hamburg für den Neustart der Schwalbe erhalten, und am 1. Oktober diesen Jahres erschien auch die erste Ausgabe von „Schachmatt“ als einzelne, handgeschriebene und handgezeichnete und dann hektographierte Blätter, herausgegeben und produziert von Albert H. Kniest; Schachmatt widmete sich, wen wundert das bei dem Herausgeber, hauptsächlich dem Märchenschach.

Mit Blatt 74 stellte sich Karl Fabel am 21. März 1948 als „Bearbeiter für das Retrogebiet“ vor; von und bei ihm erschienen mehrere hochinteressante Artikel. In der Folge „Retro-Rekorde für jedermann!“ griff er ein halbes Jahr später zunächst eine eigene Idee aus dem Jahr 1934 auf, die dann Ende 1948, am Geburtstag des neuen Mit-Herausgebers Peter Kniest, verallgemeinert vorstellte.

Schauen wir uns eine Aufgabe mit dem gegebenen Thema an:

Hugo August
Schachmatt 15.12.1948
33 Einzelzüge, 14 ableitbar (15+12)

 

Die Stellung schaut eher nach einer Beweispartie aus, und das war auch die Idee: Es sollten (nicht-eindeutige) Beweispartien konstruiert werden, bei denen eine Anzahl letzter Züge retroanalytisch eindeutig ableitbar waren. Das ist bei „normalen“ Beweispartien ja nicht der Fall: Allein durch die zeitliche Beschränkung wird die Zugfolge eindeutig; hier geht es aber darum, ohne diese Zugvorgabe eine möglichst hohe Anzahl an eindeutigen letzten Zügen zu erreichen, dabei soll dann eine mögliche Beweispartie, die zu der „u.s.w.-Stellung“ führt, möglichst kurz sein.

Hier ist also nach den letzten 14 eindeutigen Einzelzügen gefragt; die dann resutierende Stellung soll in 33-14=19 Einzelzügen erspielbar sein. Das Verhältnis der Gesamtzügezahl zur Anzahl der eindeutigen soll möglichst klein sein; hier haben wir 33:14=2,36.

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100 Jahre Schwalbe

Heute jährt sich zum hundertsten Male die Gründung der – wie sie heute heißt – Schwalbe, deutsche Vereinigung für Problemschach e.V.. Am Sonntag, dem 10 Februar 1924 kamen auf Einladung von Anton Trilling in Essen-Rüttenscheid 15 Schachfreunde zusammen, um eine „Vereinigung von Problemfreunden“ zu gründen. Die ersten Konzepte hierfür stammten von Trilling und dem Problemredakteur des Essener Anzeigers, dem Kieler Wilhelm Maßmann. Am 20. Januar 1924 trafen sich bereits 14 Schachfreunde zu einem inoffiziellen Treffen, bei dem die Gründung und auch die zukünftige Satzung vorbereitet wurden.

Die lebhafte Geschichte der Schwalbe kann in Wolfgang Dittmanns Buch „Der Flug der Schwalbe Geschichte einer Problemschach-Vereinigung“ aus dem Jahr 1988 (zweite erweiterte und aktualisierte Auflage von Hans Gruber und mir aus dem Jahr 2018, jährlich mit Nachträgen aktuell gehalten) nachgelesen werden. Das Buch kann übrigens beim Bücherwart der Schwalbe noch bezogen werden.

Das wäre sowieso meine Empfehlung für heute: Bei einem Sekt, einem guten Glas Wein mal wieder im „Flug der Schwalbe“ lesen und auch noch diesen retroanalytischen Leckerbissen von zwei Schwalbe-Gründern “zwischendurch” zu lösen.

Hugo August & Anton Trilling
Die Schwalbe 1940
Welches waren die letzten 15 Einzelzüge? (11+14)

 

Meines Wissens ist dies der noch immer gültige Rekord des dargestellten, spektakulären Themas. Die Lösung findet ihr hier wie immer in etwa einer Woche!

Viel Spaß beim Lösen und Geburtstag feiern!

Lösung

R: 1.e7-e6+ Th6xDg6+ 2.Dh5-g6+ Sg6-e5+ 3.Tc5xDd5+ Db3-d5+ 4.Tc4xLc5+ Lf2-c5+ 5.Kd5-d6+ e3-e4+ 6.Tc2-c4+ Tc4-f4+ 7.Th3-f3+ Tg2-g5+ 8.Dh4-h5+

Das ist schon bewundernswert: 15 Schachgebot-Rücknahmen in 15 letzten eindeutigen Zügen! Dmitri Baibikov hatte ja schon dankenswerter Weise auf den vorherigen Rekord (mit „nur“ zehn Themazügen, allerdings ohne Umwandlungssteine) hingewiesen. Das könnt ihr euch natürlich auch in der PDB anschauen: P1012930.

Niklas von Wyle

Ihr kennt den Komponisten Niklas von Wyle nicht? Na ja, moderne Zyklusthemen oder Proof Games of the Future hat er nicht gebaut: Das sind aber auch Themen, die nach seiner Zeit ihren Höhepunkt an Popularität hatten — und seine Zeit lag in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts!

Ralf Binnewirtz hat sich das Manuskript von Wyles vorgenommen, stellt es in einem Geschichts-Beitrag hier auf dieser Site vor — und publiziert gleichzeitig die Korrektur eines im Manuskript urgedruckten Selbstmatts.

Spannende Lektüre kann ich euch wieder versprechen!