Andreas Thoma und Wolfgang Will haben mit neutralen Steinen im Verteidigungsrückzüger experimentiert und präsentieren in einem kleinen Aufsatz exklusiv für diesen Blog gleich sechs Aufgaben, die ich euch zur genauen Analyse und Prüfung empfehle — viel Spaß dabei und herzlichen Dank den beiden Verfassern!
Archiv der Kategorie: Märchenschach
VRZ Proca und Høeg
Auf der Website von Julia Vysotska hat Andreas Thoma in einem Aufsatz vier Verteidigungsrückzüger-Zwillinge mit dem “Typenwechsel” Proca und Høeg unter der Bedingung “Anticirce” vorgestellt. Eine der Aufgaben möchte ich hier zeigen:
Julia’s Fairies, 2.10.2015
#1 vor 2 Zügen, VRZ a) Proca, b) Høeg. Anticirce Typ Cheylan (2+4)
Verteidigungsrückzüger und deren Typen wurden z.B. im Retro der Woche 41/2015 erklärt, Bei Anticirce wird der schlagende Stein auf sein (circensisches) Ausgangsfeld versetzt, das Schlagopfer verschwindet. Ist das Partieausgangsfeld des Schlägers besetzt, so ist der Schlag nicht möglich. Dabei wird unterschieden zwischen Typ Cheylan (Ein Stein darf nicht auf sein Ausgangsfeld schlagen, da es ja besetzt ist) und Typ Calvet (Ein Stein darf auf sein Ausgangsfeld schlagen, da es ja nach dem Schlag frei ist).
In unserem Beispiel lautet die Lösung:
a) R 1.1.Kg8xLf7[Ke1] Le8-f7+ 2.Tf5-f8 & vor 1.Kg7#;
b) R 1.Ke2-e1 Bg4xDh3[Bh7] 2.De3-h3 & vor 1.Dh6#
Spannend ist dann immer die Frage, warum die Lösungen nicht “anders herum” gehen: Beim Typ Høeg würde Schwarz in der a) Lösung einen anderen schwarzen Stein auf f7 einsetzen, der anschließend nicht gezwungen wäre, e8 zu blocken, was erst das Matt durch den weißen König ermöglicht, da der schwarze ja nicht schlagen kann. Und in der b)-Lösung als Proca würde Schwarz iirgendeinen anderen weißen Stein entschlagen, und Weiß hätte kein Matt.
Häufig verwenden die Komponisten den Typ Cheylan einfach deshalb, weil dieser Typ bei Procas etwa vom Programm “Pacemaker” (Thomas Kolkmeyer) geprüft werden kann. Hier ist der Typ Cheylan aber auch unabhängig davon wichtig, da b) gemäß Typ Calvet unlösbar wäre: Schwarz könnte nach R 1.Ke2-e1 auf e1 einen schwarzen Springer einsetzen und dann 1.– Sf3-e1+ zurücknehmen, ohne dass Weiß etwas entschlagen könnte, somit fehlte ihm der mattgebende Stein.
Retro der Woche 36/2015
Heute möchte ich euch eine Alice-Schach Beweispartie aus René J. Millours neuem Buch „Subtleties on 64 Squares“ vorstellen.
Kennt ihr Alice-Schach? Wenn nicht, hier die Definition aus dem immer wieder empfehlenswerten Schwalbe-Lexikon:
„Es wird auf zwei 8×8-Brettern gespielt: Bretter A und B. Nach jedem Zug (wahlweise auf einem der beiden Bretter) wird der gezogene Stein als unmittelbare Zugfolge auf das analoge leere Feld des anderen Brettes versetzt. Ist das zugehörige Feld nicht leer, wäre der entsprechende Zug illegal. Ein Schlagfall ist also nur auf demjenigen Brett möglich, auf dem der Zug auch startete. Geschlagene Steine verschwinden vom Brett. Der König darf durch einen Zug seiner Partei weder vor dem Brettwechsel des Zugsteines noch danach einem Schachgebot auf seinem Brett im herkömmlichen Sinne ausgesetzt sein. In der Partieanfangsstellung stehen alle 32 Steine auf Brett A.“
Es hat sich eingebürgert, die Alice-Stellungen auf nur einem Brett darzustellen und dabei die Klötze, die auf Brett B stehen, auf den Kopf zu stellen: Laut Definition kann ja nie das gleiche Feld auf Brett A und Brett B besetzt sein.
Interessante Möglichkeiten gibt es mit Alice-Schach: Zum Warmwerden versucht doch einmal, einen weißen und einen schwarzen Bauern auf der gleichen Linie schlagfrei aneinander vorbei zu bringen.
StrateGems 2007, 3. Preis
Beweispartie in 21,0 Zügen, Alice-Schach A(8+11) B(6+3)
Auch wenn das im ersten Moment kompliziert ausschaut, so kann man gerade bei Alice-Schach sehr gut Züge zählen: Man sieht sofort, ob ein Stein eine gerade (aufrecht stehend) oder ungerade (auf dem Kopf stehend) Anzahl von Zügen gemacht hat. Übrigens verschwinden bei der Rochade König UND Turm auf Brett B.
Beim Züge-Zählen habe ich mich an René’s Beschreibung im Buch orientiert.
Neues FEE=NIX Buch
Als 13. Band (nein, das ist keine Unglückszahl!) in der FEE=NIX Reihe, von bernd ellinghoven zusammen mit dem viel zu früh verstorbenen Denis Blondel gegründet, ist nun Subtleties on 64 Squares — Some Chess Problems von René J. Millour erschienen.
Ich hatte bereits das Vergnügen, das Manuskript zu sehen, und ich kann euch versichern, dass es unglaublich vielseitige, interessante, spannende, exotische, tiefe, faszinierende Aufgaben enthält — auch und gerade aus dem Bereich der (Märchen-) Retroanalyse.
Wie der Titel schon vermuten lässt, ist das Buch in Englisch erschienen; kein Grund, sich davon abschrecken zu lassen! Im Gegenteil: Ich kann das Buch nur jedem empfehlen, der ein breites Interesse an Schachproblemen hat, der auch neugierig ist, eventuell ihm neue Märchenschach-Arten zu entdecken und näher kennen zu lernen: Viele anregende, spannende, unterhaltsame Stunden sind garantiert.
Das Buch könnt ihr direkt bei bernd ellinghoven (be.fee(at)t-online.de) zum Preis von 45 EUR einschließlich Porto bestellen.
Retro der Woche 33/2015
Vielleicht reizt das heiße Wetter ja dazu, nicht allzu hart zu lösen, sondern einmal etwas Anderes im weiten Retro-Land zu genießen?
Aus dem Preisbericht, der schon letzte Woche diese Rubrik gefüttert hatte, habe ich heute den dritten Preis ausgesucht: Er zeigt eine Beweispartie mit der Bedingung „Duellantenschach“. Die ist sehr einfach erklärt: Beide Parteien müssen, so weit es nach den orthodoxen Schachregeln möglich ist, mit dem Stein ziehen, der bereits den letzten Zug vollführt hat.
Ein Beispiel: Nach 1.e4 e6 hat Weiß keine Auswahl, sondern muss 2.e5 ziehen; Schwarz kann nicht mehr mit seinem e-Bauern ziehen, muss nun also einen neuen „Duellanten“ aussuchen und beispielsweise 2.– d5 spielen, wonach der nächste weiße Zug schon wieder feststeht: 3.exd6ep. Spielt Schwarz nun beispielsweise 3.–a6, so muss Weiß wieder mit seinem ehemaligen e-Bauern ziehen: 4.d7+. Das wiederum kann [Ba6] nicht parieren, also wechselt Schwarz wieder den Duellanten, z.B. 4.–Dxd7. Nun erst kann Weiß einen neuen Stein zum Ziehen aussuchen, und Schwarz muss mit seiner Dame weiter ziehen.
Die Schwalbe 2009, 3. Preis
Beweispartie in 34 Zügen, Duellantenschach (15+12)
Damit haben wir gesehen: Ein ziehender Stein kann abgelöst werden durch Blockade, durch Schlag, durch ein Schachgebot, das er nicht parieren kann. Dazu kommt noch die Fesselung als Ablösegrund.
Also erfolgen im Duellantenschach ausschließlich orthodox-legale Züge (wie etwa auch bei der Längstzüger-Bedingung), die Bedingung schränkt also „nur“ die legalen Zugmöglichkeiten ein.
Märchen-Retro-Preisbericht
Die tolle Märchenschach-Seite Julia’s Fairies von Julia Vysotska pflegt auch eine (Märchen-) Retroabteilung für Urdrucke — wie heißt das richtige Wort hierfür im Internet, denn “gedruckt” wird da ja nichts?
Nun ist der erste Preisbericht, er umfasst die Jahre 2013 und 2014, erschienen: Von 26 Original-Aufgaben erwiesen sich zehn als inkorrekt, von den verbleibenden hat Preisrichter Hans Gruber sechs ausgezeichnet.
Das ist selbstverständlich sehr lesenwerte Lektüre (ebenso “selbstverständlich” auf Englisch…); viel Spaß dabei!
RIFACE 2015 Retro-Turnier
Vor ein paar Tagen ist der Preisbericht des RIFACE 2015 Retro-Kompositionsturnier veröffentlicht worden. Gefordert waren Beweispartien mit der Bedingung “Anti Take&Make” — hierbei verschwindet das Schlagopfer nicht vom Brett, sondern führt vom Schlagfeld aus einen weiteren Zug aus.
Aus dem Turnier möchte ich den vierten Platz vorstellen; der komplette Bericht kann als pdf-Datei aus dem Internet heruntergeladen werden.
St. Germain RIFACE 2015, 4. Platz
Beweispartie in 8 Zügen, Anti Take&Make (16+16)
Die Lösung:
1..Sf3 Sc6 2.Se5 Sxe5[Sc6] 3.g3 Sd3+ 4.cxd3[Sc5] Se4 5.dxe4[Sd6] Sf5 6.exf5[Ssh4] Sg6 7.fxg6[Se5] Sxc6[Sb8] 8.Lg2 Sxb8[Sa6]. Lustiger Diagonalmarsch des [Bc2] und witzige SxS-Schläge.
Urlaubsgruß
Langsam beginnt die Zeit der Sommerferien, und hier trudelte bereits der erste Urlaubsgruß von der dänschen Insel Fanø ein: Andreas Thoma genießt mit seiner Frau dort die Ferien und grüßt alle Leser des Blogs mit einer Aufgabe, mit der er gleichzeitig an Wolfgang Dittmann erinnern will, der morgen seinen 82. Geburtstag hätte feiern können (14.6.1933–5.2.2014).
Urdruck — Wolfgang Dittmann zum Gedenken
-2 & #1, VRZ Klan, Anticirce Cheylan (3+1)
Ihr erinnert euch: Beim Verteidigungsrückzüger Typ Klan, der ja hier im Blog das Licht der Welt erblickte, bestimmt immer Weiß, ob und wenn ja welcher Entschlag zurückgenommen wird. Und bei Anticirce wird nach dem Schlag der Schläger auf seinem circensischen Ursprungsfeld wiedergeboren; ist das besetzt, ist der Schlag nicht möglich. Beim Typ Cheylan ist ein Schlag auf das eigene Ursprungsfeld nicht erlaubt, hier wird das Ursprungsfeld als besetzt angesehen.
Klar ist, dass Weiß, um mattsetzen zu können, das Feld e8 unter Kontrolle bekommen muss, sonst könnte sich Schwarz immer z.B. mittels KxBb3[Ke8] verteidigen — gleichzeitig benötigt Weiß noch einen Mattstein. Beides erreicht er mittels R 1.Kc6xBb7[Ke1] Schwarz muss nun irgendwie das Schachgebot gegen den weißen König aufheben, das geht nur durch einen Entschlag durch den Bauern, der dann auf b7 wiedergeboren wurde, also z.B. 1.– Ba7xXb6[Bb7]+. Weiß setzt eine Dame ein, deckt nun mit seiner Rücknahme das Ursprungsfeld des schwarzen Königs und schlägt im Vorwärtsspiel nun mit der Dame den schwarzen Bauern; die Dame wird auf d1 wiedergeboren und setzt matt, also 2.Kd7-e6 & vor: 1.DxB[Dd1]#.
Ein hübscher Kindergarten-Wenigsteiner! Und nun überlegt einmal, warum nur der Entschlag auf b7 funktioniert — woran scheitert etwa R 1.Ke6xBf7[Ke1]??